schafterin erblickte, umarmte sie und fragte nach Neuigkeiten. Die Amme erzählte ihr alles und gab ihr auch den kostbaren Ring. Sieh! rief die Prinzessin aus, das ist eben der Ring, von dem ich geträumt habe; o! so muß auch das übrige in Erfüllung gehn. Ein Blatt enthielt dieses Lied:
Willst du des Armen Dich gnädig erbarmen? So ist es kein Traum? Wie rieseln die Quellen, Wie tönen die Wellen, Wie rauschet der Baum!
Tief lag ich in bangen Gemäuern gefangen, Nun grüßt mich das Licht; Wie spielen die Strahlen! Sie blenden und mahlen Mein schüchtern Gesicht.
Und soll ich es glauben? Wird keiner mir rauben Den köstlichen Wahn? Doch Träume entschweben, Nur lieben heißt leben: Willkommene Bahn!
Wie frei und wie heiter! Nicht eile nun weiter, Den Pilgerstab fort! Du hast überwunden, Du hast ihn gefunden, Den seligsten Ort!
Erſte Abtheilung.
ſchafterin erblickte, umarmte ſie und fragte nach Neuigkeiten. Die Amme erzaͤhlte ihr alles und gab ihr auch den koſtbaren Ring. Sieh! rief die Prinzeſſin aus, das iſt eben der Ring, von dem ich getraͤumt habe; o! ſo muß auch das uͤbrige in Erfuͤllung gehn. Ein Blatt enthielt dieſes Lied:
Willſt du des Armen Dich gnaͤdig erbarmen? So iſt es kein Traum? Wie rieſeln die Quellen, Wie toͤnen die Wellen, Wie rauſchet der Baum!
Tief lag ich in bangen Gemaͤuern gefangen, Nun gruͤßt mich das Licht; Wie ſpielen die Strahlen! Sie blenden und mahlen Mein ſchuͤchtern Geſicht.
Und ſoll ich es glauben? Wird keiner mir rauben Den koͤſtlichen Wahn? Doch Traͤume entſchweben, Nur lieben heißt leben: Willkommene Bahn!
Wie frei und wie heiter! Nicht eile nun weiter, Den Pilgerſtab fort! Du haſt uͤberwunden, Du haſt ihn gefunden, Den ſeligſten Ort!
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Erſte Abtheilung.
ſchafterin erblickte, umarmte ſie und fragte nach
Neuigkeiten. Die Amme erzaͤhlte ihr alles und
gab ihr auch den koſtbaren Ring. Sieh! rief die
Prinzeſſin aus, das iſt eben der Ring, von dem
ich getraͤumt habe; o! ſo muß auch das uͤbrige in
Erfuͤllung gehn. Ein Blatt enthielt dieſes Lied:
Willſt du des Armen
Dich gnaͤdig erbarmen?
So iſt es kein Traum?
Wie rieſeln die Quellen,
Wie toͤnen die Wellen,
Wie rauſchet der Baum!
Tief lag ich in bangen
Gemaͤuern gefangen,
Nun gruͤßt mich das Licht;
Wie ſpielen die Strahlen!
Sie blenden und mahlen
Mein ſchuͤchtern Geſicht.
Und ſoll ich es glauben?
Wird keiner mir rauben
Den koͤſtlichen Wahn?
Doch Traͤume entſchweben,
Nur lieben heißt leben:
Willkommene Bahn!
Wie frei und wie heiter!
Nicht eile nun weiter,
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Du haſt uͤberwunden,
Du haſt ihn gefunden,
Den ſeligſten Ort!
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/359>, abgerufen am 21.06.2024.
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