Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Die schöne Magelone.

Magelone sang das Lied, dann küßte sie den
Ring, und dann auch den ersten, um ihn nicht
zu kränken; dann las sie die Worte von neuem,
und sprach sie laut, und so trieb sie es in der Ein-
samkeit bis spät in die Nacht.



7.
Wie der edle Ritter wieder eine Bothschaft
empfing von der schönen Magelone.

Der Ritter befand sich am folgenden Morgen wie-
der in der Kirche, weil er hofte, von der Geliebten
seiner Seele dort eine Nachricht zu überkommen.
Die Amme fand ihn, und es traf sich, daß sie
beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte
sich nach Magelonen und die Amme Gertraud er-
zählte ihm alles. worauf sie sagte: Wenn Ihr
mir versichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fräu-
lein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, so
will ich euch auch nunmehr sagen, wo Ihr sie
sprechen könnt. Peter ließ sich auf ein Knie nieder
und hob seine Finger in die Höhe. Ich schwöre,
sagte er, daß meine reinsten Gedanken stets um
Magelone sind; ich liebe sie in aller Zucht und An-
ständigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt,
und so dies nicht wahr ist, so verlasse mich Gott
in meiner allergrößten Noth. Amen! Die Amme
war mit diesem Schwure wohl zufrieden, sie ver--

Die ſchoͤne Magelone.

Magelone ſang das Lied, dann kuͤßte ſie den
Ring, und dann auch den erſten, um ihn nicht
zu kraͤnken; dann las ſie die Worte von neuem,
und ſprach ſie laut, und ſo trieb ſie es in der Ein-
ſamkeit bis ſpaͤt in die Nacht.



7.
Wie der edle Ritter wieder eine Bothſchaft
empfing von der ſchoͤnen Magelone.

Der Ritter befand ſich am folgenden Morgen wie-
der in der Kirche, weil er hofte, von der Geliebten
ſeiner Seele dort eine Nachricht zu uͤberkommen.
Die Amme fand ihn, und es traf ſich, daß ſie
beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte
ſich nach Magelonen und die Amme Gertraud er-
zaͤhlte ihm alles. worauf ſie ſagte: Wenn Ihr
mir verſichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fraͤu-
lein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, ſo
will ich euch auch nunmehr ſagen, wo Ihr ſie
ſprechen koͤnnt. Peter ließ ſich auf ein Knie nieder
und hob ſeine Finger in die Hoͤhe. Ich ſchwoͤre,
ſagte er, daß meine reinſten Gedanken ſtets um
Magelone ſind; ich liebe ſie in aller Zucht und An-
ſtaͤndigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt,
und ſo dies nicht wahr iſt, ſo verlaſſe mich Gott
in meiner allergroͤßten Noth. Amen! Die Amme
war mit dieſem Schwure wohl zufrieden, ſie ver-‒

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0360" n="349"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die &#x017F;cho&#x0364;ne Magelone</hi>.</fw><lb/>
            <p>Magelone &#x017F;ang das Lied, dann ku&#x0364;ßte &#x017F;ie den<lb/>
Ring, und dann auch den er&#x017F;ten, um ihn nicht<lb/>
zu kra&#x0364;nken; dann las &#x017F;ie die Worte von neuem,<lb/>
und &#x017F;prach &#x017F;ie laut, und &#x017F;o trieb &#x017F;ie es in der Ein-<lb/>
&#x017F;amkeit bis &#x017F;pa&#x0364;t in die Nacht.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>7.<lb/>
Wie der edle Ritter wieder eine Both&#x017F;chaft<lb/>
empfing von der &#x017F;cho&#x0364;nen Magelone.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>er Ritter befand &#x017F;ich am folgenden Morgen wie-<lb/>
der in der Kirche, weil er hofte, von der Geliebten<lb/>
&#x017F;einer Seele dort eine Nachricht zu u&#x0364;berkommen.<lb/>
Die Amme fand ihn, und es traf &#x017F;ich, daß &#x017F;ie<lb/>
beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte<lb/>
&#x017F;ich nach Magelonen und die Amme Gertraud er-<lb/>
za&#x0364;hlte ihm alles. worauf &#x017F;ie &#x017F;agte: Wenn Ihr<lb/>
mir ver&#x017F;ichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fra&#x0364;u-<lb/>
lein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, &#x017F;o<lb/>
will ich euch auch nunmehr &#x017F;agen, wo Ihr &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;prechen ko&#x0364;nnt. Peter ließ &#x017F;ich auf ein Knie nieder<lb/>
und hob &#x017F;eine Finger in die Ho&#x0364;he. Ich &#x017F;chwo&#x0364;re,<lb/>
&#x017F;agte er, daß meine rein&#x017F;ten Gedanken &#x017F;tets um<lb/>
Magelone &#x017F;ind; ich liebe &#x017F;ie in aller Zucht und An-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt,<lb/>
und &#x017F;o dies nicht wahr i&#x017F;t, &#x017F;o verla&#x017F;&#x017F;e mich Gott<lb/>
in meiner allergro&#x0364;ßten Noth. Amen! Die Amme<lb/>
war mit die&#x017F;em Schwure wohl zufrieden, &#x017F;ie ver-&#x2012;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0360] Die ſchoͤne Magelone. Magelone ſang das Lied, dann kuͤßte ſie den Ring, und dann auch den erſten, um ihn nicht zu kraͤnken; dann las ſie die Worte von neuem, und ſprach ſie laut, und ſo trieb ſie es in der Ein- ſamkeit bis ſpaͤt in die Nacht. 7. Wie der edle Ritter wieder eine Bothſchaft empfing von der ſchoͤnen Magelone. Der Ritter befand ſich am folgenden Morgen wie- der in der Kirche, weil er hofte, von der Geliebten ſeiner Seele dort eine Nachricht zu uͤberkommen. Die Amme fand ihn, und es traf ſich, daß ſie beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte ſich nach Magelonen und die Amme Gertraud er- zaͤhlte ihm alles. worauf ſie ſagte: Wenn Ihr mir verſichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fraͤu- lein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, ſo will ich euch auch nunmehr ſagen, wo Ihr ſie ſprechen koͤnnt. Peter ließ ſich auf ein Knie nieder und hob ſeine Finger in die Hoͤhe. Ich ſchwoͤre, ſagte er, daß meine reinſten Gedanken ſtets um Magelone ſind; ich liebe ſie in aller Zucht und An- ſtaͤndigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt, und ſo dies nicht wahr iſt, ſo verlaſſe mich Gott in meiner allergroͤßten Noth. Amen! Die Amme war mit dieſem Schwure wohl zufrieden, ſie ver-‒

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/360
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/360>, abgerufen am 22.11.2024.