des Fiebers, des Ueberreizes und der Abspan- nung diese Anstrengung eine heilsame sein, und ich fürchte, dein Arzt hat nur zu sehr Recht gehabt.
Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen ganz falschen Begriff von der deutschen Litera- tur, so wie von meiner Kunst des Lesens, denn ich hütete mich wohl von selbst vor allem Vor- trefflichen, Hinreißenden, Pathetischen und Spe- kulativen, was mir in der That hätte übel bekom- men können; sondern ich wandte mich in jene anmuthige Gegend, die von den Kunstverständi- gen meistentheils zu sehr verachtet und vernach- lässigt wird, in jenen Wald voll ächt einheimi- scher und patriotischer Gewächse, die mein Ge- müth gelinde dehnten, gelinde mein Herz beweg- ten, still mein Blut erwärmten, und mitten im Genuß sanfte Ironie und gelinde Langeweile zulie- ßen. Ich versichre euch, einen Tempel der Dank- barkeit möcht' ich ihnen genesend widmen; und wie viele auch vortrefflich sein mögen, so waren es doch hauptsächlich drei Autoren, die ich studirt und ihre Wirkungen beobachtet habe.
Ich bin begierig, sagte Ernst.
Als ich am schwächsten und gefährlichsten war, fuhr Anton fort, begann ich sehr weislich, gegen des Arztes ausdrückliches Verbot, mit un- serm deutschen La Fontaine. Denn ohne alles Lesen ängstigten mich meine Gedanken, die Trauer über meine Krankheit, tausend Plane und Vor-
Einleitung.
des Fiebers, des Ueberreizes und der Abſpan- nung dieſe Anſtrengung eine heilſame ſein, und ich fuͤrchte, dein Arzt hat nur zu ſehr Recht gehabt.
Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen ganz falſchen Begriff von der deutſchen Litera- tur, ſo wie von meiner Kunſt des Leſens, denn ich huͤtete mich wohl von ſelbſt vor allem Vor- trefflichen, Hinreißenden, Pathetiſchen und Spe- kulativen, was mir in der That haͤtte uͤbel bekom- men koͤnnen; ſondern ich wandte mich in jene anmuthige Gegend, die von den Kunſtverſtaͤndi- gen meiſtentheils zu ſehr verachtet und vernach- laͤſſigt wird, in jenen Wald voll aͤcht einheimi- ſcher und patriotiſcher Gewaͤchſe, die mein Ge- muͤth gelinde dehnten, gelinde mein Herz beweg- ten, ſtill mein Blut erwaͤrmten, und mitten im Genuß ſanfte Ironie und gelinde Langeweile zulie- ßen. Ich verſichre euch, einen Tempel der Dank- barkeit moͤcht' ich ihnen geneſend widmen; und wie viele auch vortrefflich ſein moͤgen, ſo waren es doch hauptſaͤchlich drei Autoren, die ich ſtudirt und ihre Wirkungen beobachtet habe.
Ich bin begierig, ſagte Ernſt.
Als ich am ſchwaͤchſten und gefaͤhrlichſten war, fuhr Anton fort, begann ich ſehr weislich, gegen des Arztes ausdruͤckliches Verbot, mit un- ſerm deutſchen La Fontaine. Denn ohne alles Leſen aͤngſtigten mich meine Gedanken, die Trauer uͤber meine Krankheit, tauſend Plane und Vor-
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[26/0037]
Einleitung.
des Fiebers, des Ueberreizes und der Abſpan-
nung dieſe Anſtrengung eine heilſame ſein, und
ich fuͤrchte, dein Arzt hat nur zu ſehr Recht
gehabt.
Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen
ganz falſchen Begriff von der deutſchen Litera-
tur, ſo wie von meiner Kunſt des Leſens, denn
ich huͤtete mich wohl von ſelbſt vor allem Vor-
trefflichen, Hinreißenden, Pathetiſchen und Spe-
kulativen, was mir in der That haͤtte uͤbel bekom-
men koͤnnen; ſondern ich wandte mich in jene
anmuthige Gegend, die von den Kunſtverſtaͤndi-
gen meiſtentheils zu ſehr verachtet und vernach-
laͤſſigt wird, in jenen Wald voll aͤcht einheimi-
ſcher und patriotiſcher Gewaͤchſe, die mein Ge-
muͤth gelinde dehnten, gelinde mein Herz beweg-
ten, ſtill mein Blut erwaͤrmten, und mitten im
Genuß ſanfte Ironie und gelinde Langeweile zulie-
ßen. Ich verſichre euch, einen Tempel der Dank-
barkeit moͤcht' ich ihnen geneſend widmen; und
wie viele auch vortrefflich ſein moͤgen, ſo waren
es doch hauptſaͤchlich drei Autoren, die ich ſtudirt
und ihre Wirkungen beobachtet habe.
Ich bin begierig, ſagte Ernſt.
Als ich am ſchwaͤchſten und gefaͤhrlichſten
war, fuhr Anton fort, begann ich ſehr weislich,
gegen des Arztes ausdruͤckliches Verbot, mit un-
ſerm deutſchen La Fontaine. Denn ohne alles
Leſen aͤngſtigten mich meine Gedanken, die Trauer
uͤber meine Krankheit, tauſend Plane und Vor-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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