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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
achtenden Lebens-Philosophie. Mein Fieber hatte
zwar nachgelassen, konnte aber immer wieder ge-
fährlich werden, ich litt unaussprechlichen Durst,
und durfte nicht trinken, was mein Schmachten
begehrte, immer nur wenig und nichts Kühles,
und ich träumte nur von kalten Orangen, von
Citronen, ja Essig, machte Salat in meiner Phan-
tasie zu ungeheuern Portionen und verzehrte sie,
trank aus Flaschen im Felsenkeller selbst den kühl-
sten Nierensteiner, und badete mich dann in Mor-
genluft in den Wogen des grün rauschenden
Rheins. In dieser schwelgenden Stimmung
begegnete mir nun der vortrefliche Cramer mit
seinen Ritter- und andern Romanen, und wie
soll ich wohl einem kalten, gefunden, vernünf-
tigen Menschen, der trinken darf, wann und
wie viel er will, die Wonne schildern, die mich
auf meinem einsamen Lager diese vortreflichsten
Werke genießen ließen? Ich kann nun sagen:
werdet krank, lieben Freunde und leset, und ihr
unterschreibt alles, was neben euch gehender Re-
zensent so eben behauptet.

Mäßige dich nur, sagte Theodor, sonst bist
du gezwungen, wieder Wasser zu schöpfen, um
dir den Kopf naß zu machen, und auf diesem
anmuthigen Hügel haben wir keine Quelle in
der Nähe.

Ja, rief Anton aus, Dank diesem biedersten
Deutschen für seine Kämpen, für seinen Has-
par a Spada und den Raugrafen zu Dassel!

Einleitung.
achtenden Lebens-Philoſophie. Mein Fieber hatte
zwar nachgelaſſen, konnte aber immer wieder ge-
faͤhrlich werden, ich litt unausſprechlichen Durſt,
und durfte nicht trinken, was mein Schmachten
begehrte, immer nur wenig und nichts Kuͤhles,
und ich traͤumte nur von kalten Orangen, von
Citronen, ja Eſſig, machte Salat in meiner Phan-
taſie zu ungeheuern Portionen und verzehrte ſie,
trank aus Flaſchen im Felſenkeller ſelbſt den kuͤhl-
ſten Nierenſteiner, und badete mich dann in Mor-
genluft in den Wogen des gruͤn rauſchenden
Rheins. In dieſer ſchwelgenden Stimmung
begegnete mir nun der vortrefliche Cramer mit
ſeinen Ritter- und andern Romanen, und wie
ſoll ich wohl einem kalten, gefunden, vernuͤnf-
tigen Menſchen, der trinken darf, wann und
wie viel er will, die Wonne ſchildern, die mich
auf meinem einſamen Lager dieſe vortreflichſten
Werke genießen ließen? Ich kann nun ſagen:
werdet krank, lieben Freunde und leſet, und ihr
unterſchreibt alles, was neben euch gehender Re-
zenſent ſo eben behauptet.

Maͤßige dich nur, ſagte Theodor, ſonſt biſt
du gezwungen, wieder Waſſer zu ſchoͤpfen, um
dir den Kopf naß zu machen, und auf dieſem
anmuthigen Huͤgel haben wir keine Quelle in
der Naͤhe.

Ja, rief Anton aus, Dank dieſem biederſten
Deutſchen fuͤr ſeine Kaͤmpen, fuͤr ſeinen Has-
par a Spada und den Raugrafen zu Daſſel!

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[29/0040] Einleitung. achtenden Lebens-Philoſophie. Mein Fieber hatte zwar nachgelaſſen, konnte aber immer wieder ge- faͤhrlich werden, ich litt unausſprechlichen Durſt, und durfte nicht trinken, was mein Schmachten begehrte, immer nur wenig und nichts Kuͤhles, und ich traͤumte nur von kalten Orangen, von Citronen, ja Eſſig, machte Salat in meiner Phan- taſie zu ungeheuern Portionen und verzehrte ſie, trank aus Flaſchen im Felſenkeller ſelbſt den kuͤhl- ſten Nierenſteiner, und badete mich dann in Mor- genluft in den Wogen des gruͤn rauſchenden Rheins. In dieſer ſchwelgenden Stimmung begegnete mir nun der vortrefliche Cramer mit ſeinen Ritter- und andern Romanen, und wie ſoll ich wohl einem kalten, gefunden, vernuͤnf- tigen Menſchen, der trinken darf, wann und wie viel er will, die Wonne ſchildern, die mich auf meinem einſamen Lager dieſe vortreflichſten Werke genießen ließen? Ich kann nun ſagen: werdet krank, lieben Freunde und leſet, und ihr unterſchreibt alles, was neben euch gehender Re- zenſent ſo eben behauptet. Maͤßige dich nur, ſagte Theodor, ſonſt biſt du gezwungen, wieder Waſſer zu ſchoͤpfen, um dir den Kopf naß zu machen, und auf dieſem anmuthigen Huͤgel haben wir keine Quelle in der Naͤhe. Ja, rief Anton aus, Dank dieſem biederſten Deutſchen fuͤr ſeine Kaͤmpen, fuͤr ſeinen Has- par a Spada und den Raugrafen zu Daſſel!

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/40>, abgerufen am 21.11.2024.