Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. Wie saß ich mit ihnen allen zu Tische und sahund half die Kannen Rüdesheimer und Nieren- steiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur einzuschenken, nein, aus dem vollen Humpen selbst tranken wir Großherzigen das kühle, herr- liche, duftende Naß, und ich lachte in dieser Gesellschaft meinen Arzt rechtschaffen aus: ent- zückt war ich mit dir, und begleitete dich be- wundernd, du edelster Bomsen, ich zechte Zug für Zug mit dir, du Großer, der schon des Mor- gens um vier Uhr betrunken zu Rosse steigt, um Thaten eines deutschen Mannes adlich zu verrich- ten. Wie deine Gesinnungen, du großer Dichter, so ist auch dein Styl gediegen und deutsch, und alle die Prügel und Püffe, die den Feinden oder schlechten Menschen zugetheilt werden, oder gar den boshaften Pfaffen, waren mir eben so viele Herzstärkungen und Brownische Curmittel, und darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor- züglichsten Werke nach der Beendigung wieder von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin- dung, Charakter, Essen, Trinken, Lebens-Philo- sophie, Wirklichkeit und Geschichte alles meiner drängenden Sehnsucht dargebracht, und alles gleich vortrefflich. Mein schmachtender Durst trieb sich nun nicht mehr in gigantischen Bildern zweck- los um, sondern fand seine Bahn vorgezeichnet und große Beispiele, denen er sich anschloß; nun träumte ich nicht mehr als Polyphem unter den steinernen Treppen eines Weinberges zu liegen, Einleitung. Wie ſaß ich mit ihnen allen zu Tiſche und ſahund half die Kannen Ruͤdesheimer und Nieren- ſteiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur einzuſchenken, nein, aus dem vollen Humpen ſelbſt tranken wir Großherzigen das kuͤhle, herr- liche, duftende Naß, und ich lachte in dieſer Geſellſchaft meinen Arzt rechtſchaffen aus: ent- zuͤckt war ich mit dir, und begleitete dich be- wundernd, du edelſter Bomſen, ich zechte Zug fuͤr Zug mit dir, du Großer, der ſchon des Mor- gens um vier Uhr betrunken zu Roſſe ſteigt, um Thaten eines deutſchen Mannes adlich zu verrich- ten. Wie deine Geſinnungen, du großer Dichter, ſo iſt auch dein Styl gediegen und deutſch, und alle die Pruͤgel und Puͤffe, die den Feinden oder ſchlechten Menſchen zugetheilt werden, oder gar den boshaften Pfaffen, waren mir eben ſo viele Herzſtaͤrkungen und Browniſche Curmittel, und darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor- zuͤglichſten Werke nach der Beendigung wieder von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin- dung, Charakter, Eſſen, Trinken, Lebens-Philo- ſophie, Wirklichkeit und Geſchichte alles meiner draͤngenden Sehnſucht dargebracht, und alles gleich vortrefflich. Mein ſchmachtender Durſt trieb ſich nun nicht mehr in gigantiſchen Bildern zweck- los um, ſondern fand ſeine Bahn vorgezeichnet und große Beiſpiele, denen er ſich anſchloß; nun traͤumte ich nicht mehr als Polyphem unter den ſteinernen Treppen eines Weinberges zu liegen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0041" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> Wie ſaß ich mit ihnen allen zu Tiſche und ſah<lb/> und half die Kannen Ruͤdesheimer und Nieren-<lb/> ſteiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur<lb/> einzuſchenken, nein, aus dem vollen Humpen<lb/> ſelbſt tranken wir Großherzigen das kuͤhle, herr-<lb/> liche, duftende Naß, und ich lachte in dieſer<lb/> Geſellſchaft meinen Arzt rechtſchaffen aus: ent-<lb/> zuͤckt war ich mit dir, und begleitete dich be-<lb/> wundernd, du edelſter Bomſen, ich zechte Zug<lb/> fuͤr Zug mit dir, du Großer, der ſchon des Mor-<lb/> gens um vier Uhr betrunken zu Roſſe ſteigt, um<lb/> Thaten eines deutſchen Mannes adlich zu verrich-<lb/> ten. Wie deine Geſinnungen, du großer Dichter,<lb/> ſo iſt auch dein Styl gediegen und deutſch, und<lb/> alle die Pruͤgel und Puͤffe, die den Feinden oder<lb/> ſchlechten Menſchen zugetheilt werden, oder gar<lb/> den boshaften Pfaffen, waren mir eben ſo viele<lb/> Herzſtaͤrkungen und Browniſche Curmittel, und<lb/> darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor-<lb/> zuͤglichſten Werke nach der Beendigung wieder<lb/> von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin-<lb/> dung, Charakter, Eſſen, Trinken, Lebens-Philo-<lb/> ſophie, Wirklichkeit und Geſchichte alles meiner<lb/> draͤngenden Sehnſucht dargebracht, und alles<lb/> gleich vortrefflich. Mein ſchmachtender Durſt trieb<lb/> ſich nun nicht mehr in gigantiſchen Bildern zweck-<lb/> los um, ſondern fand ſeine Bahn vorgezeichnet<lb/> und große Beiſpiele, denen er ſich anſchloß; nun<lb/> traͤumte ich nicht mehr als Polyphem unter den<lb/> ſteinernen Treppen eines Weinberges zu liegen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0041]
Einleitung.
Wie ſaß ich mit ihnen allen zu Tiſche und ſah
und half die Kannen Ruͤdesheimer und Nieren-
ſteiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur
einzuſchenken, nein, aus dem vollen Humpen
ſelbſt tranken wir Großherzigen das kuͤhle, herr-
liche, duftende Naß, und ich lachte in dieſer
Geſellſchaft meinen Arzt rechtſchaffen aus: ent-
zuͤckt war ich mit dir, und begleitete dich be-
wundernd, du edelſter Bomſen, ich zechte Zug
fuͤr Zug mit dir, du Großer, der ſchon des Mor-
gens um vier Uhr betrunken zu Roſſe ſteigt, um
Thaten eines deutſchen Mannes adlich zu verrich-
ten. Wie deine Geſinnungen, du großer Dichter,
ſo iſt auch dein Styl gediegen und deutſch, und
alle die Pruͤgel und Puͤffe, die den Feinden oder
ſchlechten Menſchen zugetheilt werden, oder gar
den boshaften Pfaffen, waren mir eben ſo viele
Herzſtaͤrkungen und Browniſche Curmittel, und
darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor-
zuͤglichſten Werke nach der Beendigung wieder
von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin-
dung, Charakter, Eſſen, Trinken, Lebens-Philo-
ſophie, Wirklichkeit und Geſchichte alles meiner
draͤngenden Sehnſucht dargebracht, und alles
gleich vortrefflich. Mein ſchmachtender Durſt trieb
ſich nun nicht mehr in gigantiſchen Bildern zweck-
los um, ſondern fand ſeine Bahn vorgezeichnet
und große Beiſpiele, denen er ſich anſchloß; nun
traͤumte ich nicht mehr als Polyphem unter den
ſteinernen Treppen eines Weinberges zu liegen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |