Augen, der mit dem Frühling der Gesundheit den Lenz der Liebe von neuem aufblühen sieht. Das alte Gedicht ist eine Verherrlichung der Liebe und frommen Demuth, die neuere Erzählung ist süß freigeisterisch und ungläubig.
Lope de Vega hat unter den Namen der drei Diamanten die Geschichte für das Theater bearbei- tet, bemerkte Lothar, und sie in seiner etwas lok- kern Manier ausgeführt; auf dasjenige, was nach unserer Meinung der Hauptpunkt seyn sollte, hat er auch nur wenig Gewicht gelegt. Die Sage selbst scheint mir aber auch völlig undramatisch.
Mir nicht, erwiederte Friedrich. Wissen wir doch überhaupt noch nicht recht, was wir drama- tisch oder undramatisch nennen sollen. Nach un- sern gewöhnlichen Ansichten gehn die Novelle und Erzählung oft von selbst in das Drama über, und viele Novellen sind Comödien nach dieser Meinung, so wie wir auch nicht wenige Comödien besitzen, selbst berühmte, die durchaus nur dialogisirte Novellen sind. Diese können sehr geistreich und witzig seyn, wie die des Machiavell zum Bei- spiel, sind aber darum doch noch keine Schau- spiele. Damit Erzählung oder Sage Schauspiel werde, muß ein neues Element hinzu treten, welches das Ganze allseitig durchdringt, und im Mittelpunkte des Gedichtes seine Beglaubi- gung findet: dazu Individualität und scheinbare Willkühr, zugleich eine Aufopferung alles dessen, was die Novelle reizend macht, so daß es dem
Erſte Abtheilung.
Augen, der mit dem Fruͤhling der Geſundheit den Lenz der Liebe von neuem aufbluͤhen ſieht. Das alte Gedicht iſt eine Verherrlichung der Liebe und frommen Demuth, die neuere Erzaͤhlung iſt ſuͤß freigeiſteriſch und unglaͤubig.
Lope de Vega hat unter den Namen der drei Diamanten die Geſchichte fuͤr das Theater bearbei- tet, bemerkte Lothar, und ſie in ſeiner etwas lok- kern Manier ausgefuͤhrt; auf dasjenige, was nach unſerer Meinung der Hauptpunkt ſeyn ſollte, hat er auch nur wenig Gewicht gelegt. Die Sage ſelbſt ſcheint mir aber auch voͤllig undramatiſch.
Mir nicht, erwiederte Friedrich. Wiſſen wir doch uͤberhaupt noch nicht recht, was wir drama- tiſch oder undramatiſch nennen ſollen. Nach un- ſern gewoͤhnlichen Anſichten gehn die Novelle und Erzaͤhlung oft von ſelbſt in das Drama uͤber, und viele Novellen ſind Comoͤdien nach dieſer Meinung, ſo wie wir auch nicht wenige Comoͤdien beſitzen, ſelbſt beruͤhmte, die durchaus nur dialogiſirte Novellen ſind. Dieſe koͤnnen ſehr geiſtreich und witzig ſeyn, wie die des Machiavell zum Bei- ſpiel, ſind aber darum doch noch keine Schau- ſpiele. Damit Erzaͤhlung oder Sage Schauſpiel werde, muß ein neues Element hinzu treten, welches das Ganze allſeitig durchdringt, und im Mittelpunkte des Gedichtes ſeine Beglaubi- gung findet: dazu Individualitaͤt und ſcheinbare Willkuͤhr, zugleich eine Aufopferung alles deſſen, was die Novelle reizend macht, ſo daß es dem
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Erſte Abtheilung.
Augen, der mit dem Fruͤhling der Geſundheit
den Lenz der Liebe von neuem aufbluͤhen ſieht.
Das alte Gedicht iſt eine Verherrlichung der Liebe
und frommen Demuth, die neuere Erzaͤhlung iſt
ſuͤß freigeiſteriſch und unglaͤubig.
Lope de Vega hat unter den Namen der drei
Diamanten die Geſchichte fuͤr das Theater bearbei-
tet, bemerkte Lothar, und ſie in ſeiner etwas lok-
kern Manier ausgefuͤhrt; auf dasjenige, was nach
unſerer Meinung der Hauptpunkt ſeyn ſollte, hat
er auch nur wenig Gewicht gelegt. Die Sage
ſelbſt ſcheint mir aber auch voͤllig undramatiſch.
Mir nicht, erwiederte Friedrich. Wiſſen wir
doch uͤberhaupt noch nicht recht, was wir drama-
tiſch oder undramatiſch nennen ſollen. Nach un-
ſern gewoͤhnlichen Anſichten gehn die Novelle und
Erzaͤhlung oft von ſelbſt in das Drama uͤber, und
viele Novellen ſind Comoͤdien nach dieſer Meinung,
ſo wie wir auch nicht wenige Comoͤdien beſitzen,
ſelbſt beruͤhmte, die durchaus nur dialogiſirte
Novellen ſind. Dieſe koͤnnen ſehr geiſtreich und
witzig ſeyn, wie die des Machiavell zum Bei-
ſpiel, ſind aber darum doch noch keine Schau-
ſpiele. Damit Erzaͤhlung oder Sage Schauſpiel
werde, muß ein neues Element hinzu treten,
welches das Ganze allſeitig durchdringt, und
im Mittelpunkte des Gedichtes ſeine Beglaubi-
gung findet: dazu Individualitaͤt und ſcheinbare
Willkuͤhr, zugleich eine Aufopferung alles deſſen,
was die Novelle reizend macht, ſo daß es dem
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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