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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin schon vor
sieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hie-
her zurück gewesen, und du Langsame, kommst
nun heut erst an!

Man fragte von neuem, man drang in sie,
doch sie, des Verbotes eingedenk, konnte keine
Antwort geben. Man legte ihr fast die Erzählung
in den Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einen
vorbeifahrenden Wagen genommen, und an einen
fremden fernen Ort gebracht sey, wo sie den Leu-
ten den Wohnsitz ihrer Eltern nicht habe bezeich-
nen können; wie man sie nachher nach einer weit
entlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Men-
schen sie erzogen und geliebt; wie diese nun gestor-
ben, und sie sich endlich wieder auf ihre Geburts-
gegend besonnen, eine Gelegenheit zur Reise er-
griffen habe und so zurück gekehrt sey. Laßt alles
gut seyn, rief die Mutter; genug, daß wir dich
nur wieder haben, mein Töchterchen, du meine
Einzige, mein Alles!

Andres blieb zum Abendbrod, und Marie konnte
sich noch in nichts finden. Das Haus dünkte ihr
klein und finster, sie verwunderte sich über ihre
Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd
erschien; sie betrachtete den Ring am Finger, des-
sen Gold wundersam glänzte und einen roth bren-
nenden Stein künstlich einfaßte. Auf die Frage
des Vaters antwortete sie, daß der Ring ebenfalls
ein Geschenk ihrer Wohlthäter sey.

Sie freute sich auf die Schlafenszeit, und eilte
zur Ruhe. Am andern Morgen fühlte sie sich be-

Erſte Abtheilung.
ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin ſchon vor
ſieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hie-
her zuruͤck geweſen, und du Langſame, kommſt
nun heut erſt an!

Man fragte von neuem, man drang in ſie,
doch ſie, des Verbotes eingedenk, konnte keine
Antwort geben. Man legte ihr faſt die Erzaͤhlung
in den Mund, daß ſie ſich verirrt habe, auf einen
vorbeifahrenden Wagen genommen, und an einen
fremden fernen Ort gebracht ſey, wo ſie den Leu-
ten den Wohnſitz ihrer Eltern nicht habe bezeich-
nen koͤnnen; wie man ſie nachher nach einer weit
entlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Men-
ſchen ſie erzogen und geliebt; wie dieſe nun geſtor-
ben, und ſie ſich endlich wieder auf ihre Geburts-
gegend beſonnen, eine Gelegenheit zur Reiſe er-
griffen habe und ſo zuruͤck gekehrt ſey. Laßt alles
gut ſeyn, rief die Mutter; genug, daß wir dich
nur wieder haben, mein Toͤchterchen, du meine
Einzige, mein Alles!

Andres blieb zum Abendbrod, und Marie konnte
ſich noch in nichts finden. Das Haus duͤnkte ihr
klein und finſter, ſie verwunderte ſich uͤber ihre
Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd
erſchien; ſie betrachtete den Ring am Finger, deſ-
ſen Gold wunderſam glaͤnzte und einen roth bren-
nenden Stein kuͤnſtlich einfaßte. Auf die Frage
des Vaters antwortete ſie, daß der Ring ebenfalls
ein Geſchenk ihrer Wohlthaͤter ſey.

Sie freute ſich auf die Schlafenszeit, und eilte
zur Ruhe. Am andern Morgen fuͤhlte ſie ſich be-

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[418/0429] Erſte Abtheilung. ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin ſchon vor ſieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hie- her zuruͤck geweſen, und du Langſame, kommſt nun heut erſt an! Man fragte von neuem, man drang in ſie, doch ſie, des Verbotes eingedenk, konnte keine Antwort geben. Man legte ihr faſt die Erzaͤhlung in den Mund, daß ſie ſich verirrt habe, auf einen vorbeifahrenden Wagen genommen, und an einen fremden fernen Ort gebracht ſey, wo ſie den Leu- ten den Wohnſitz ihrer Eltern nicht habe bezeich- nen koͤnnen; wie man ſie nachher nach einer weit entlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Men- ſchen ſie erzogen und geliebt; wie dieſe nun geſtor- ben, und ſie ſich endlich wieder auf ihre Geburts- gegend beſonnen, eine Gelegenheit zur Reiſe er- griffen habe und ſo zuruͤck gekehrt ſey. Laßt alles gut ſeyn, rief die Mutter; genug, daß wir dich nur wieder haben, mein Toͤchterchen, du meine Einzige, mein Alles! Andres blieb zum Abendbrod, und Marie konnte ſich noch in nichts finden. Das Haus duͤnkte ihr klein und finſter, ſie verwunderte ſich uͤber ihre Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd erſchien; ſie betrachtete den Ring am Finger, deſ- ſen Gold wunderſam glaͤnzte und einen roth bren- nenden Stein kuͤnſtlich einfaßte. Auf die Frage des Vaters antwortete ſie, daß der Ring ebenfalls ein Geſchenk ihrer Wohlthaͤter ſey. Sie freute ſich auf die Schlafenszeit, und eilte zur Ruhe. Am andern Morgen fuͤhlte ſie ſich be-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/429>, abgerufen am 22.11.2024.