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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.

Oftmals schon hatte bei vorgefallenem Streite
Marie im Eifer zu ihrem Manne gesagt: du thust
den armen Leuten in der Hütte Unrecht! Wenn
Andres dann in sie drang, ihm zu erklären, wa-
rum sie der Meinung aller Leute im Dorfe, ja der
Herrschaft selber entgegen sey und es besser wissen
wolle, brach sie ab, und schwieg verlegen. Heftiger
als je ward Andres eines Tages nach Tische und
behauptete, das Gesindel müsse als landesverderb-
lich durchaus fortgeschafft werden; da rief sie im
Unwillen aus: schweig, denn sie sind deine und
unser aller Wohlthäter! Wohlthäter? fragte An-
dres erstaunt; die Landstreicher? In ihrem Zorne
ließ sie sich verleiten, ihm unter dem Versprechen
der tiefsten Verschwiegenheit die Geschichte ihrer
Jugend zu erzählen, und da er bei jedem ihrer
Worte ungläubiger wurde und verhöhnend den Kopf
schüttelte, nahm sie ihn bei der Hand und führte
ihn in das Gemach, von wo er zu seinem Erstau-
nen die leuchtende Elfe mit seinem Kinde in der
Laube spielen, und es liebkosen sah. Er wußte
kein Wort zu sagen; ein Ausruf der Verwunde-
rung entfuhr ihm, und Zerina erhob den Blick.
Sie wurde plötzlich bleich und zitterte heftig, nicht
freundlich, sondern mit zorniger Miene machte sie
die drohende Geberde, und sagte dann zu Elfrieden:
du kannst nichts dafür, geliebtes Herz, aber sie
werden niemals klug, so verständig sie sich auch
dünken. Sie umarmte die Kleine mit stürmender
Eil, und flog dann als Rabe mit heiserem Geschrei
über den Garten hinweg, den Tannenbäumen zu.


Erſte Abtheilung.

Oftmals ſchon hatte bei vorgefallenem Streite
Marie im Eifer zu ihrem Manne geſagt: du thuſt
den armen Leuten in der Huͤtte Unrecht! Wenn
Andres dann in ſie drang, ihm zu erklaͤren, wa-
rum ſie der Meinung aller Leute im Dorfe, ja der
Herrſchaft ſelber entgegen ſey und es beſſer wiſſen
wolle, brach ſie ab, und ſchwieg verlegen. Heftiger
als je ward Andres eines Tages nach Tiſche und
behauptete, das Geſindel muͤſſe als landesverderb-
lich durchaus fortgeſchafft werden; da rief ſie im
Unwillen aus: ſchweig, denn ſie ſind deine und
unſer aller Wohlthaͤter! Wohlthaͤter? fragte An-
dres erſtaunt; die Landſtreicher? In ihrem Zorne
ließ ſie ſich verleiten, ihm unter dem Verſprechen
der tiefſten Verſchwiegenheit die Geſchichte ihrer
Jugend zu erzaͤhlen, und da er bei jedem ihrer
Worte unglaͤubiger wurde und verhoͤhnend den Kopf
ſchuͤttelte, nahm ſie ihn bei der Hand und fuͤhrte
ihn in das Gemach, von wo er zu ſeinem Erſtau-
nen die leuchtende Elfe mit ſeinem Kinde in der
Laube ſpielen, und es liebkoſen ſah. Er wußte
kein Wort zu ſagen; ein Ausruf der Verwunde-
rung entfuhr ihm, und Zerina erhob den Blick.
Sie wurde ploͤtzlich bleich und zitterte heftig, nicht
freundlich, ſondern mit zorniger Miene machte ſie
die drohende Geberde, und ſagte dann zu Elfrieden:
du kannſt nichts dafuͤr, geliebtes Herz, aber ſie
werden niemals klug, ſo verſtaͤndig ſie ſich auch
duͤnken. Sie umarmte die Kleine mit ſtuͤrmender
Eil, und flog dann als Rabe mit heiſerem Geſchrei
uͤber den Garten hinweg, den Tannenbaͤumen zu.


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[426/0437] Erſte Abtheilung. Oftmals ſchon hatte bei vorgefallenem Streite Marie im Eifer zu ihrem Manne geſagt: du thuſt den armen Leuten in der Huͤtte Unrecht! Wenn Andres dann in ſie drang, ihm zu erklaͤren, wa- rum ſie der Meinung aller Leute im Dorfe, ja der Herrſchaft ſelber entgegen ſey und es beſſer wiſſen wolle, brach ſie ab, und ſchwieg verlegen. Heftiger als je ward Andres eines Tages nach Tiſche und behauptete, das Geſindel muͤſſe als landesverderb- lich durchaus fortgeſchafft werden; da rief ſie im Unwillen aus: ſchweig, denn ſie ſind deine und unſer aller Wohlthaͤter! Wohlthaͤter? fragte An- dres erſtaunt; die Landſtreicher? In ihrem Zorne ließ ſie ſich verleiten, ihm unter dem Verſprechen der tiefſten Verſchwiegenheit die Geſchichte ihrer Jugend zu erzaͤhlen, und da er bei jedem ihrer Worte unglaͤubiger wurde und verhoͤhnend den Kopf ſchuͤttelte, nahm ſie ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn in das Gemach, von wo er zu ſeinem Erſtau- nen die leuchtende Elfe mit ſeinem Kinde in der Laube ſpielen, und es liebkoſen ſah. Er wußte kein Wort zu ſagen; ein Ausruf der Verwunde- rung entfuhr ihm, und Zerina erhob den Blick. Sie wurde ploͤtzlich bleich und zitterte heftig, nicht freundlich, ſondern mit zorniger Miene machte ſie die drohende Geberde, und ſagte dann zu Elfrieden: du kannſt nichts dafuͤr, geliebtes Herz, aber ſie werden niemals klug, ſo verſtaͤndig ſie ſich auch duͤnken. Sie umarmte die Kleine mit ſtuͤrmender Eil, und flog dann als Rabe mit heiſerem Geſchrei uͤber den Garten hinweg, den Tannenbaͤumen zu.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/437>, abgerufen am 22.11.2024.