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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Der Pokal.
den die Nachbarschaft umher für einen Zauberer
hielt. Ferdinand mochte nicht sagen, daß er jenen
gekannt hatte, denn sein Daseyn war ihm zu
sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur
aus der Ferne die übrigen in sein Gemüth schauen
zu lassen.

Nach aufgehobener Tafel war er mit der Mut-
ter allein, weil die jungen Leute sich zurück gezo-
gen hatten, um Anstalten zum Balle zu treffen.
Setzen Sie sich neben mich, sagte die Mutter,
wir wollen ausruhen, denn wir sind über die Jahre
des Tanzes hinweg, und, wenn es nicht unbeschei-
den ist zu fragen, so sagen Sie mir doch, ob Sie
unsern Pokal schon sonst wo gesehn haben, oder
was es war, was Sie so innerlichst bewegte.

O gnädige Frau, sagte der Alte, verzeihen
Sie meiner thörichten Heftigkeit und Rührung,
aber seit ich in Ihrem Hause bin, ist es, als ge-
höre ich mir nicht mehr an, denn in jedem Augen-
blicke vergesse ich es, daß mein Haar grau ist, daß
meine Geliebten gestorben sind. Ihre schöne Toch-
ter, die heute den frohesten Tag ihres Lebens fey-
ert, ist einem Mädchen, das ich in meiner Jugend
kannte und anbetete, so ähnlich, daß ich es für
ein Wunder halten muß; nicht ähnlich, nein, der
Ausdruck sagt zu wenig, sie ist es selbst! Auch
hier im Hause bin ich viel gewesen, und einmal
mit diesem Pokal auf die seltsamste Weise bekannt
geworden. Er erzählte ihr hierauf sein Abentheuer.
An dem Abend dieses Tages, so beschloß er, sah
ich draußen im Park meine Geliebte zum letzten

Der Pokal.
den die Nachbarſchaft umher fuͤr einen Zauberer
hielt. Ferdinand mochte nicht ſagen, daß er jenen
gekannt hatte, denn ſein Daſeyn war ihm zu
ſehr zum ſeltſamen Traum verwirrt, um auch nur
aus der Ferne die uͤbrigen in ſein Gemuͤth ſchauen
zu laſſen.

Nach aufgehobener Tafel war er mit der Mut-
ter allein, weil die jungen Leute ſich zuruͤck gezo-
gen hatten, um Anſtalten zum Balle zu treffen.
Setzen Sie ſich neben mich, ſagte die Mutter,
wir wollen ausruhen, denn wir ſind uͤber die Jahre
des Tanzes hinweg, und, wenn es nicht unbeſchei-
den iſt zu fragen, ſo ſagen Sie mir doch, ob Sie
unſern Pokal ſchon ſonſt wo geſehn haben, oder
was es war, was Sie ſo innerlichſt bewegte.

O gnaͤdige Frau, ſagte der Alte, verzeihen
Sie meiner thoͤrichten Heftigkeit und Ruͤhrung,
aber ſeit ich in Ihrem Hauſe bin, iſt es, als ge-
hoͤre ich mir nicht mehr an, denn in jedem Augen-
blicke vergeſſe ich es, daß mein Haar grau iſt, daß
meine Geliebten geſtorben ſind. Ihre ſchoͤne Toch-
ter, die heute den froheſten Tag ihres Lebens fey-
ert, iſt einem Maͤdchen, das ich in meiner Jugend
kannte und anbetete, ſo aͤhnlich, daß ich es fuͤr
ein Wunder halten muß; nicht aͤhnlich, nein, der
Ausdruck ſagt zu wenig, ſie iſt es ſelbſt! Auch
hier im Hauſe bin ich viel geweſen, und einmal
mit dieſem Pokal auf die ſeltſamſte Weiſe bekannt
geworden. Er erzaͤhlte ihr hierauf ſein Abentheuer.
An dem Abend dieſes Tages, ſo beſchloß er, ſah
ich draußen im Park meine Geliebte zum letzten

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[453/0464] Der Pokal. den die Nachbarſchaft umher fuͤr einen Zauberer hielt. Ferdinand mochte nicht ſagen, daß er jenen gekannt hatte, denn ſein Daſeyn war ihm zu ſehr zum ſeltſamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne die uͤbrigen in ſein Gemuͤth ſchauen zu laſſen. Nach aufgehobener Tafel war er mit der Mut- ter allein, weil die jungen Leute ſich zuruͤck gezo- gen hatten, um Anſtalten zum Balle zu treffen. Setzen Sie ſich neben mich, ſagte die Mutter, wir wollen ausruhen, denn wir ſind uͤber die Jahre des Tanzes hinweg, und, wenn es nicht unbeſchei- den iſt zu fragen, ſo ſagen Sie mir doch, ob Sie unſern Pokal ſchon ſonſt wo geſehn haben, oder was es war, was Sie ſo innerlichſt bewegte. O gnaͤdige Frau, ſagte der Alte, verzeihen Sie meiner thoͤrichten Heftigkeit und Ruͤhrung, aber ſeit ich in Ihrem Hauſe bin, iſt es, als ge- hoͤre ich mir nicht mehr an, denn in jedem Augen- blicke vergeſſe ich es, daß mein Haar grau iſt, daß meine Geliebten geſtorben ſind. Ihre ſchoͤne Toch- ter, die heute den froheſten Tag ihres Lebens fey- ert, iſt einem Maͤdchen, das ich in meiner Jugend kannte und anbetete, ſo aͤhnlich, daß ich es fuͤr ein Wunder halten muß; nicht aͤhnlich, nein, der Ausdruck ſagt zu wenig, ſie iſt es ſelbſt! Auch hier im Hauſe bin ich viel geweſen, und einmal mit dieſem Pokal auf die ſeltſamſte Weiſe bekannt geworden. Er erzaͤhlte ihr hierauf ſein Abentheuer. An dem Abend dieſes Tages, ſo beſchloß er, ſah ich draußen im Park meine Geliebte zum letzten

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/464>, abgerufen am 22.11.2024.