zeiten unsers Haydn fast allenthalben haben Glück machen können, deren kindische Mahle- rey gegen allen höheren Sinn streitet. Seine Symphonien und Instrumental-Compositionen sind meist so vortreflich, daß man ihm diese Verirrung niemals hätte zutrauen sollen.
Friedrich wandte sich zu Ernst und sagte: Lieber, ehe wir jetzt scheiden, sage uns noch die drei Sonette vor, welche du dichtetest, als dir jene alte große Singe-Musik zuerst bekannt wurde. Diese Verse sind mir immer vorzüglich lieb gewesen, weil sie mir nicht so wohl gedich- tet als eingegeben scheinen.
Ich kann wenigstens sagen, erwiederte Ernst, daß ich sie damals niederschreiben mußte, und daß ich von den oft besprochenen Schwierigkei- ten des Sonetts nichts erlitt. Von dreierlei Art kann die geistliche Musik hauptsächlich seyn. Entweder ist es der Ton selbst, der durch seine Reinheit und Heiligkeit die Andacht erweckt, durch jene einfache edle Sympathie, welche har- monisch die befreundeten Klänge verbindet und miteinander ausstralen läßt, wodurch jene hohe Musik entsteht, welche sinnige Alte dem Um- schwung der Gestirne ebenfalls zuschreiben woll- ten. Dieser Gesang, ausgehalten, ohne rasche Bewegung, sich selbst genügend, ruft in unsre Seele das Bild der Ewigkeit, so wie der Schöp- fung und der entstehenden Zeit: Palestrina ist der würdigste Repräsentant dieser Periode. Oder
Erſte Abtheilung.
zeiten unſers Haydn faſt allenthalben haben Gluͤck machen koͤnnen, deren kindiſche Mahle- rey gegen allen hoͤheren Sinn ſtreitet. Seine Symphonien und Inſtrumental-Compoſitionen ſind meiſt ſo vortreflich, daß man ihm dieſe Verirrung niemals haͤtte zutrauen ſollen.
Friedrich wandte ſich zu Ernſt und ſagte: Lieber, ehe wir jetzt ſcheiden, ſage uns noch die drei Sonette vor, welche du dichteteſt, als dir jene alte große Singe-Muſik zuerſt bekannt wurde. Dieſe Verſe ſind mir immer vorzuͤglich lieb geweſen, weil ſie mir nicht ſo wohl gedich- tet als eingegeben ſcheinen.
Ich kann wenigſtens ſagen, erwiederte Ernſt, daß ich ſie damals niederſchreiben mußte, und daß ich von den oft beſprochenen Schwierigkei- ten des Sonetts nichts erlitt. Von dreierlei Art kann die geiſtliche Muſik hauptſaͤchlich ſeyn. Entweder iſt es der Ton ſelbſt, der durch ſeine Reinheit und Heiligkeit die Andacht erweckt, durch jene einfache edle Sympathie, welche har- moniſch die befreundeten Klaͤnge verbindet und miteinander ausſtralen laͤßt, wodurch jene hohe Muſik entſteht, welche ſinnige Alte dem Um- ſchwung der Geſtirne ebenfalls zuſchreiben woll- ten. Dieſer Geſang, ausgehalten, ohne raſche Bewegung, ſich ſelbſt genuͤgend, ruft in unſre Seele das Bild der Ewigkeit, ſo wie der Schoͤp- fung und der entſtehenden Zeit: Paleſtrina iſt der wuͤrdigſte Repraͤſentant dieſer Periode. Oder
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Erſte Abtheilung.
zeiten unſers Haydn faſt allenthalben haben
Gluͤck machen koͤnnen, deren kindiſche Mahle-
rey gegen allen hoͤheren Sinn ſtreitet. Seine
Symphonien und Inſtrumental-Compoſitionen
ſind meiſt ſo vortreflich, daß man ihm dieſe
Verirrung niemals haͤtte zutrauen ſollen.
Friedrich wandte ſich zu Ernſt und ſagte:
Lieber, ehe wir jetzt ſcheiden, ſage uns noch die
drei Sonette vor, welche du dichteteſt, als dir
jene alte große Singe-Muſik zuerſt bekannt
wurde. Dieſe Verſe ſind mir immer vorzuͤglich
lieb geweſen, weil ſie mir nicht ſo wohl gedich-
tet als eingegeben ſcheinen.
Ich kann wenigſtens ſagen, erwiederte Ernſt,
daß ich ſie damals niederſchreiben mußte, und
daß ich von den oft beſprochenen Schwierigkei-
ten des Sonetts nichts erlitt. Von dreierlei
Art kann die geiſtliche Muſik hauptſaͤchlich ſeyn.
Entweder iſt es der Ton ſelbſt, der durch ſeine
Reinheit und Heiligkeit die Andacht erweckt,
durch jene einfache edle Sympathie, welche har-
moniſch die befreundeten Klaͤnge verbindet und
miteinander ausſtralen laͤßt, wodurch jene hohe
Muſik entſteht, welche ſinnige Alte dem Um-
ſchwung der Geſtirne ebenfalls zuſchreiben woll-
ten. Dieſer Geſang, ausgehalten, ohne raſche
Bewegung, ſich ſelbſt genuͤgend, ruft in unſre
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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