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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Da brachen sich die Leiden an den Freuden,
Die Wonne suchte sich im stillen Innern,
Das Wort empfand die Engel, welche schufen;
Sie gingen aus, entzückend war ihr Scheiden.
Auf, Gottes Bildniß, deß dich zu erinnern
Vernimm, wie meine heilgen Töne rufen.


Nacht, Furcht, Tod, Stummheit, Quaal war ein-
gebrochen,
Ihr Banner wehte auf besiegten Reichen,
Erschrocken flohen vor dem giftgen Zeichen
Mit stummer Zunge, welche erst gesprochen.
So ist denn ganz das Liebeswort zerbrochen?
Es sucht im Wasserfall, will sich erreichen,
Aus Bäumen strebt es, Quellen, grünen Sträuchen,
In Wogen klagt es: was hab ich verbrochen?
Die Wasser gehn und finden keine Zungen,
Dem Wald, dem Fels ist wohl der Laut gebunden,
Die Angst entzündet sich im Thiere schreiend.
In Menschenstimme ist es ihm gelungen,
Nun hat das ewge Wort sich wieder funden,
Klagt, betet, weint, jauchzt laut sich selbst befreiend.


Ich bin ein Engel, Menschenkind, das wisse,
Mein Flügelpaar klingt in dem Morgenlichte,
Den grünen Wald erfreut mein Angesichte,
Das Nachtigallen-Chor giebt seine Grüße.

Erſte Abtheilung.
Da brachen ſich die Leiden an den Freuden,
Die Wonne ſuchte ſich im ſtillen Innern,
Das Wort empfand die Engel, welche ſchufen;
Sie gingen aus, entzuͤckend war ihr Scheiden.
Auf, Gottes Bildniß, deß dich zu erinnern
Vernimm, wie meine heilgen Toͤne rufen.


Nacht, Furcht, Tod, Stummheit, Quaal war ein-
gebrochen,
Ihr Banner wehte auf beſiegten Reichen,
Erſchrocken flohen vor dem giftgen Zeichen
Mit ſtummer Zunge, welche erſt geſprochen.
So iſt denn ganz das Liebeswort zerbrochen?
Es ſucht im Waſſerfall, will ſich erreichen,
Aus Baͤumen ſtrebt es, Quellen, gruͤnen Straͤuchen,
In Wogen klagt es: was hab ich verbrochen?
Die Waſſer gehn und finden keine Zungen,
Dem Wald, dem Fels iſt wohl der Laut gebunden,
Die Angſt entzuͤndet ſich im Thiere ſchreiend.
In Menſchenſtimme iſt es ihm gelungen,
Nun hat das ewge Wort ſich wieder funden,
Klagt, betet, weint, jauchzt laut ſich ſelbſt befreiend.


Ich bin ein Engel, Menſchenkind, das wiſſe,
Mein Fluͤgelpaar klingt in dem Morgenlichte,
Den gruͤnen Wald erfreut mein Angeſichte,
Das Nachtigallen-Chor giebt ſeine Gruͤße.

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[473/0484] Erſte Abtheilung. Da brachen ſich die Leiden an den Freuden, Die Wonne ſuchte ſich im ſtillen Innern, Das Wort empfand die Engel, welche ſchufen; Sie gingen aus, entzuͤckend war ihr Scheiden. Auf, Gottes Bildniß, deß dich zu erinnern Vernimm, wie meine heilgen Toͤne rufen. Nacht, Furcht, Tod, Stummheit, Quaal war ein- gebrochen, Ihr Banner wehte auf beſiegten Reichen, Erſchrocken flohen vor dem giftgen Zeichen Mit ſtummer Zunge, welche erſt geſprochen. So iſt denn ganz das Liebeswort zerbrochen? Es ſucht im Waſſerfall, will ſich erreichen, Aus Baͤumen ſtrebt es, Quellen, gruͤnen Straͤuchen, In Wogen klagt es: was hab ich verbrochen? Die Waſſer gehn und finden keine Zungen, Dem Wald, dem Fels iſt wohl der Laut gebunden, Die Angſt entzuͤndet ſich im Thiere ſchreiend. In Menſchenſtimme iſt es ihm gelungen, Nun hat das ewge Wort ſich wieder funden, Klagt, betet, weint, jauchzt laut ſich ſelbſt befreiend. Ich bin ein Engel, Menſchenkind, das wiſſe, Mein Fluͤgelpaar klingt in dem Morgenlichte, Den gruͤnen Wald erfreut mein Angeſichte, Das Nachtigallen-Chor giebt ſeine Gruͤße.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/484>, abgerufen am 22.11.2024.