Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Rothkäppchen.

Der wilde Wolf hat sie zerrissen,
Und auch zum Theil schon aufgefressen.
Jäger.
Daß Gott erbarm! ich schieße zum Fenster hinein.--
(er schießt hinein.)
Da liegt der Wolf und ist auch todt,
So muß für alles Strafe seyn,
Er schwimmt in seinem Blute roth.
Es kann einer wohl ein Verbrechen begehn,
Doch kann er nie der Strafe entgehn.


Man sprach bei Tisch über die frühe Lust
der Kinder an der Furcht, und man stritt, ob
man diesen Trieb in ihnen unterhalten solle, oder
nicht. Manfred war mit Einschränkungen dafür,
so wie Emilie dagegen. Als man nicht einig
werden konnte, sagte Clara: lassen wir diesen
Kampf, die Kinder werden sich doch fürchten,
wir mögen es anstellen, wie wir wollen; Anton
soll uns lieber noch jenes Gedicht mittheilen,
von welchem er heut Morgen sprach, und das
er vor einigen Jahren in einer melankolischen
Stimmung geschrieben hat.

Noch krank kam ich von einer Reise zurück,
sagte Anton; die gewohnte Umgebung drückte mit
Bangigkeit auf mein Gemüth, und doch schien
dem Genesenen alles so lieb und hold, ich schloß
mich so inniger an meine Freunde und schrieb
diese Verse:

Rothkaͤppchen.

Der wilde Wolf hat ſie zerriſſen,
Und auch zum Theil ſchon aufgefreſſen.
Jaͤger.
Daß Gott erbarm! ich ſchieße zum Fenſter hinein.—
(er ſchießt hinein.)
Da liegt der Wolf und iſt auch todt,
So muß fuͤr alles Strafe ſeyn,
Er ſchwimmt in ſeinem Blute roth.
Es kann einer wohl ein Verbrechen begehn,
Doch kann er nie der Strafe entgehn.


Man ſprach bei Tiſch uͤber die fruͤhe Luſt
der Kinder an der Furcht, und man ſtritt, ob
man dieſen Trieb in ihnen unterhalten ſolle, oder
nicht. Manfred war mit Einſchraͤnkungen dafuͤr,
ſo wie Emilie dagegen. Als man nicht einig
werden konnte, ſagte Clara: laſſen wir dieſen
Kampf, die Kinder werden ſich doch fuͤrchten,
wir moͤgen es anſtellen, wie wir wollen; Anton
ſoll uns lieber noch jenes Gedicht mittheilen,
von welchem er heut Morgen ſprach, und das
er vor einigen Jahren in einer melankoliſchen
Stimmung geſchrieben hat.

Noch krank kam ich von einer Reiſe zuruͤck,
ſagte Anton; die gewohnte Umgebung druͤckte mit
Bangigkeit auf mein Gemuͤth, und doch ſchien
dem Geneſenen alles ſo lieb und hold, ich ſchloß
mich ſo inniger an meine Freunde und ſchrieb
dieſe Verſe:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#VOE">
              <pb facs="#f0522" n="511"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rothka&#x0364;ppchen</hi>.</fw><lb/>
              <p>Der wilde Wolf hat &#x017F;ie zerri&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Und auch zum Theil &#x017F;chon aufgefre&#x017F;&#x017F;en.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#JAEGER">
              <speaker><hi rendition="#g">Ja&#x0364;ger</hi>.</speaker><lb/>
              <p>Daß Gott erbarm! ich &#x017F;chieße zum Fen&#x017F;ter hinein.&#x2014;</p><lb/>
              <stage>(er &#x017F;chießt hinein.)</stage><lb/>
              <p>Da liegt der Wolf und i&#x017F;t auch todt,<lb/>
So muß fu&#x0364;r alles Strafe &#x017F;eyn,<lb/>
Er &#x017F;chwimmt in &#x017F;einem Blute roth.<lb/>
Es kann einer wohl ein Verbrechen begehn,<lb/>
Doch kann er nie der Strafe entgehn.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <p>Man &#x017F;prach bei Ti&#x017F;ch u&#x0364;ber die fru&#x0364;he Lu&#x017F;t<lb/>
der Kinder an der Furcht, und man &#x017F;tritt, ob<lb/>
man die&#x017F;en Trieb in ihnen unterhalten &#x017F;olle, oder<lb/>
nicht. Manfred war mit Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen dafu&#x0364;r,<lb/>
&#x017F;o wie Emilie dagegen. Als man nicht einig<lb/>
werden konnte, &#x017F;agte Clara: la&#x017F;&#x017F;en wir die&#x017F;en<lb/>
Kampf, die Kinder werden &#x017F;ich doch fu&#x0364;rchten,<lb/>
wir mo&#x0364;gen es an&#x017F;tellen, wie wir wollen; Anton<lb/>
&#x017F;oll uns lieber noch jenes Gedicht mittheilen,<lb/>
von welchem er heut Morgen &#x017F;prach, und das<lb/>
er vor einigen Jahren in einer melankoli&#x017F;chen<lb/>
Stimmung ge&#x017F;chrieben hat.</p><lb/>
              <p>Noch krank kam ich von einer Rei&#x017F;e zuru&#x0364;ck,<lb/>
&#x017F;agte Anton; die gewohnte Umgebung dru&#x0364;ckte mit<lb/>
Bangigkeit auf mein Gemu&#x0364;th, und doch &#x017F;chien<lb/>
dem Gene&#x017F;enen alles &#x017F;o lieb und hold, ich &#x017F;chloß<lb/>
mich &#x017F;o inniger an meine Freunde und &#x017F;chrieb<lb/>
die&#x017F;e Ver&#x017F;e:</p>
            </sp>
          </div>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[511/0522] Rothkaͤppchen. Der wilde Wolf hat ſie zerriſſen, Und auch zum Theil ſchon aufgefreſſen. Jaͤger. Daß Gott erbarm! ich ſchieße zum Fenſter hinein.— (er ſchießt hinein.) Da liegt der Wolf und iſt auch todt, So muß fuͤr alles Strafe ſeyn, Er ſchwimmt in ſeinem Blute roth. Es kann einer wohl ein Verbrechen begehn, Doch kann er nie der Strafe entgehn. Man ſprach bei Tiſch uͤber die fruͤhe Luſt der Kinder an der Furcht, und man ſtritt, ob man dieſen Trieb in ihnen unterhalten ſolle, oder nicht. Manfred war mit Einſchraͤnkungen dafuͤr, ſo wie Emilie dagegen. Als man nicht einig werden konnte, ſagte Clara: laſſen wir dieſen Kampf, die Kinder werden ſich doch fuͤrchten, wir moͤgen es anſtellen, wie wir wollen; Anton ſoll uns lieber noch jenes Gedicht mittheilen, von welchem er heut Morgen ſprach, und das er vor einigen Jahren in einer melankoliſchen Stimmung geſchrieben hat. Noch krank kam ich von einer Reiſe zuruͤck, ſagte Anton; die gewohnte Umgebung druͤckte mit Bangigkeit auf mein Gemuͤth, und doch ſchien dem Geneſenen alles ſo lieb und hold, ich ſchloß mich ſo inniger an meine Freunde und ſchrieb dieſe Verſe:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/522
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/522>, abgerufen am 24.11.2024.