Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. uns eine bessere Nachwelt verachten, und überunsern anmaßlichen Kunstsinn und die fast krank- hafte Liebhaberei an Poesie und Wissenschaft lä- cheln, wenn sie hört, daß wir Denkmale aus gemeinem, fast thierischen Nichtachten, oder aus kläglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns herüber gekommen sind, an der wir unsern erlahmten Sinn für Vater- land und alles Große wieder aufrichten könnten. So braucht man herrliche Gebäude zu Wollspin- nereien und schlägt dürftige Kammern in die Pracht alter Rittersäle hinein, als wenn es uns an Raum gebräche, um die Armseligkeit unsers Zustandes nur recht in die Augen zu rücken, der in Pallästen der Heroen seine traurige Thätigkeit ausspannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt. Ist ihnen doch die Vorzeit selbst nichts an- Jetzt zeigte sich die übrige Gesellschaft. Man- Einleitung. uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤberunſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank- hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ- cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind, an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater- land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten. So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin- nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt. Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an- Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0074" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤber<lb/> unſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank-<lb/> hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ-<lb/> cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus<lb/> gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus<lb/> klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus<lb/> einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind,<lb/> an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater-<lb/> land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten.<lb/> So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin-<lb/> nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die<lb/> Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns<lb/> an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers<lb/> Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der<lb/> in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit<lb/> ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und<lb/> Rumpelkammern verwandelt.</p><lb/> <p>Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an-<lb/> ders, ſagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende<lb/> Geſchichte, eben ſo haben ſie ſich in dieſe mit<lb/> ihren unerſprießlichen Zwecken hinein geklemmt,<lb/> und verwundern ſich laͤchelnd daruͤber, wie man<lb/> ehemals nur das Beduͤrfniß ſolcher Groͤße haben<lb/> mochte.</p><lb/> <p>Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man-<lb/> fred fuͤhrte ſeine Schwiegermutter, Friedrich, wel-<lb/> cher verweinte Augen hatte, die ſchoͤne Roſalie,<lb/> Anton bot ſeinen Arm der freundlichen Clara,<lb/> und Wilibald geſellte ſich zu Auguſten, indem<lb/> er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [63/0074]
Einleitung.
uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤber
unſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank-
hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ-
cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus
gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus
klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus
einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind,
an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater-
land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten.
So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin-
nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die
Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns
an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers
Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der
in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit
ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und
Rumpelkammern verwandelt.
Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an-
ders, ſagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende
Geſchichte, eben ſo haben ſie ſich in dieſe mit
ihren unerſprießlichen Zwecken hinein geklemmt,
und verwundern ſich laͤchelnd daruͤber, wie man
ehemals nur das Beduͤrfniß ſolcher Groͤße haben
mochte.
Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man-
fred fuͤhrte ſeine Schwiegermutter, Friedrich, wel-
cher verweinte Augen hatte, die ſchoͤne Roſalie,
Anton bot ſeinen Arm der freundlichen Clara,
und Wilibald geſellte ſich zu Auguſten, indem
er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden
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