Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
uns eine bessere Nachwelt verachten, und über
unsern anmaßlichen Kunstsinn und die fast krank-
hafte Liebhaberei an Poesie und Wissenschaft lä-
cheln, wenn sie hört, daß wir Denkmale aus
gemeinem, fast thierischen Nichtachten, oder aus
kläglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus
einer Heldenzeit zu uns herüber gekommen sind,
an der wir unsern erlahmten Sinn für Vater-
land und alles Große wieder aufrichten könnten.
So braucht man herrliche Gebäude zu Wollspin-
nereien und schlägt dürftige Kammern in die
Pracht alter Rittersäle hinein, als wenn es uns
an Raum gebräche, um die Armseligkeit unsers
Zustandes nur recht in die Augen zu rücken, der
in Pallästen der Heroen seine traurige Thätigkeit
ausspannt, und große Kirchen in Scheuern und
Rumpelkammern verwandelt.

Ist ihnen doch die Vorzeit selbst nichts an-
ders, sagte Lothar, und des Vaterlandes rührende
Geschichte, eben so haben sie sich in diese mit
ihren unersprießlichen Zwecken hinein geklemmt,
und verwundern sich lächelnd darüber, wie man
ehemals nur das Bedürfniß solcher Größe haben
mochte.

Jetzt zeigte sich die übrige Gesellschaft. Man-
fred führte seine Schwiegermutter, Friedrich, wel-
cher verweinte Augen hatte, die schöne Rosalie,
Anton bot seinen Arm der freundlichen Clara,
und Wilibald gesellte sich zu Augusten, indem
er dem lächelnden Theodor einen triumphirenden

Einleitung.
uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤber
unſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank-
hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ-
cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus
gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus
klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus
einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind,
an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater-
land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten.
So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin-
nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die
Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns
an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers
Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der
in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit
ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und
Rumpelkammern verwandelt.

Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an-
ders, ſagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende
Geſchichte, eben ſo haben ſie ſich in dieſe mit
ihren unerſprießlichen Zwecken hinein geklemmt,
und verwundern ſich laͤchelnd daruͤber, wie man
ehemals nur das Beduͤrfniß ſolcher Groͤße haben
mochte.

Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man-
fred fuͤhrte ſeine Schwiegermutter, Friedrich, wel-
cher verweinte Augen hatte, die ſchoͤne Roſalie,
Anton bot ſeinen Arm der freundlichen Clara,
und Wilibald geſellte ſich zu Auguſten, indem
er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
uns eine be&#x017F;&#x017F;ere Nachwelt verachten, und u&#x0364;ber<lb/>
un&#x017F;ern anmaßlichen Kun&#x017F;t&#x017F;inn und die fa&#x017F;t krank-<lb/>
hafte Liebhaberei an Poe&#x017F;ie und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft la&#x0364;-<lb/>
cheln, wenn &#x017F;ie ho&#x0364;rt, daß wir Denkmale aus<lb/>
gemeinem, fa&#x017F;t thieri&#x017F;chen Nichtachten, oder aus<lb/>
kla&#x0364;glichem Eigennutz abgetragen haben, die aus<lb/>
einer Heldenzeit zu uns heru&#x0364;ber gekommen &#x017F;ind,<lb/>
an der wir un&#x017F;ern erlahmten Sinn fu&#x0364;r Vater-<lb/>
land und alles Große wieder aufrichten ko&#x0364;nnten.<lb/>
So braucht man herrliche Geba&#x0364;ude zu Woll&#x017F;pin-<lb/>
nereien und &#x017F;chla&#x0364;gt du&#x0364;rftige Kammern in die<lb/>
Pracht alter Ritter&#x017F;a&#x0364;le hinein, als wenn es uns<lb/>
an Raum gebra&#x0364;che, um die Arm&#x017F;eligkeit un&#x017F;ers<lb/>
Zu&#x017F;tandes nur recht in die Augen zu ru&#x0364;cken, der<lb/>
in Palla&#x0364;&#x017F;ten der Heroen &#x017F;eine traurige Tha&#x0364;tigkeit<lb/>
aus&#x017F;pannt, und große Kirchen in Scheuern und<lb/>
Rumpelkammern verwandelt.</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t ihnen doch die Vorzeit &#x017F;elb&#x017F;t nichts an-<lb/>
ders, &#x017F;agte Lothar, und des Vaterlandes ru&#x0364;hrende<lb/>
Ge&#x017F;chichte, eben &#x017F;o haben &#x017F;ie &#x017F;ich in die&#x017F;e mit<lb/>
ihren uner&#x017F;prießlichen Zwecken hinein geklemmt,<lb/>
und verwundern &#x017F;ich la&#x0364;chelnd daru&#x0364;ber, wie man<lb/>
ehemals nur das Bedu&#x0364;rfniß &#x017F;olcher Gro&#x0364;ße haben<lb/>
mochte.</p><lb/>
        <p>Jetzt zeigte &#x017F;ich die u&#x0364;brige Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Man-<lb/>
fred fu&#x0364;hrte &#x017F;eine Schwiegermutter, Friedrich, wel-<lb/>
cher verweinte Augen hatte, die &#x017F;cho&#x0364;ne Ro&#x017F;alie,<lb/>
Anton bot &#x017F;einen Arm der freundlichen Clara,<lb/>
und Wilibald ge&#x017F;ellte &#x017F;ich zu Augu&#x017F;ten, indem<lb/>
er dem la&#x0364;chelnden Theodor einen triumphirenden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0074] Einleitung. uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤber unſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank- hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ- cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind, an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater- land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten. So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin- nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt. Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an- ders, ſagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende Geſchichte, eben ſo haben ſie ſich in dieſe mit ihren unerſprießlichen Zwecken hinein geklemmt, und verwundern ſich laͤchelnd daruͤber, wie man ehemals nur das Beduͤrfniß ſolcher Groͤße haben mochte. Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man- fred fuͤhrte ſeine Schwiegermutter, Friedrich, wel- cher verweinte Augen hatte, die ſchoͤne Roſalie, Anton bot ſeinen Arm der freundlichen Clara, und Wilibald geſellte ſich zu Auguſten, indem er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/74
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/74>, abgerufen am 21.11.2024.