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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gän-
gen, welche oben gegen den eindringenden Son-
nenstrahl gewölbt und dicht verflochten waren, in
heitern Gesprächen auf und nieder, und Lothar
sagte nach einiger Zeit: wir sprachen eben von
den Ruinen altdeutscher Baukunst, und bedauer-
ten, daß viele Schlösser und Kirchen gänzlich
verfallen, die mit geringen Kosten als Denkmale
unsern Nachkommen könnten erhalten werden, aber
indem ich den Schatten dieser Gänge genieße,
erinnere ich mich der seltsamen Verirrung, daß
man jetzt vorsätzlich auch viele Gärten zerstört,
die in dem sogenannten Französischen Geschmack
angelegt sind, um eine unerfreuliche Verwirrung
von Bäumen und Gesträuchen an die Stelle zu
setzen, die man nach dem Modeausdrucke Park
benamt, und so bloß einer todten Formel fröhnt,
indem man sich im Wahn befindet, etwas Schö-
nes zu erschaffen.

Du erinnerst mich, sagte Ernst, an die Ere-
mitags bei Bayreuth und manchen andern Gar-
ten; wenn diese Einsiedelei auch manche aufge-
mauerte Kindereien zeigt, so war sie doch in ih-
rer alten Gestalt höchst erfreulich, ich verwun-
derte mich nicht wenig, sie vor einigen Jahren
ganz verwildert wieder zu finden.

Es fehlt unsrer Zeit, sagte Friedrich, so sehr
sie die Natur sucht, eben der Sinn für Natur,
denn nicht allein diese regelmäßigen Gärten, die
dem jetzigen Geschmacke zuwider sind, bekehrt man

zum

Einleitung.
Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gaͤn-
gen, welche oben gegen den eindringenden Son-
nenſtrahl gewoͤlbt und dicht verflochten waren, in
heitern Geſpraͤchen auf und nieder, und Lothar
ſagte nach einiger Zeit: wir ſprachen eben von
den Ruinen altdeutſcher Baukunſt, und bedauer-
ten, daß viele Schloͤſſer und Kirchen gaͤnzlich
verfallen, die mit geringen Koſten als Denkmale
unſern Nachkommen koͤnnten erhalten werden, aber
indem ich den Schatten dieſer Gaͤnge genieße,
erinnere ich mich der ſeltſamen Verirrung, daß
man jetzt vorſaͤtzlich auch viele Gaͤrten zerſtoͤrt,
die in dem ſogenannten Franzoͤſiſchen Geſchmack
angelegt ſind, um eine unerfreuliche Verwirrung
von Baͤumen und Geſtraͤuchen an die Stelle zu
ſetzen, die man nach dem Modeausdrucke Park
benamt, und ſo bloß einer todten Formel froͤhnt,
indem man ſich im Wahn befindet, etwas Schoͤ-
nes zu erſchaffen.

Du erinnerſt mich, ſagte Ernſt, an die Ere-
mitags bei Bayreuth und manchen andern Gar-
ten; wenn dieſe Einſiedelei auch manche aufge-
mauerte Kindereien zeigt, ſo war ſie doch in ih-
rer alten Geſtalt hoͤchſt erfreulich, ich verwun-
derte mich nicht wenig, ſie vor einigen Jahren
ganz verwildert wieder zu finden.

Es fehlt unſrer Zeit, ſagte Friedrich, ſo ſehr
ſie die Natur ſucht, eben der Sinn fuͤr Natur,
denn nicht allein dieſe regelmaͤßigen Gaͤrten, die
dem jetzigen Geſchmacke zuwider ſind, bekehrt man

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[64/0075] Einleitung. Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gaͤn- gen, welche oben gegen den eindringenden Son- nenſtrahl gewoͤlbt und dicht verflochten waren, in heitern Geſpraͤchen auf und nieder, und Lothar ſagte nach einiger Zeit: wir ſprachen eben von den Ruinen altdeutſcher Baukunſt, und bedauer- ten, daß viele Schloͤſſer und Kirchen gaͤnzlich verfallen, die mit geringen Koſten als Denkmale unſern Nachkommen koͤnnten erhalten werden, aber indem ich den Schatten dieſer Gaͤnge genieße, erinnere ich mich der ſeltſamen Verirrung, daß man jetzt vorſaͤtzlich auch viele Gaͤrten zerſtoͤrt, die in dem ſogenannten Franzoͤſiſchen Geſchmack angelegt ſind, um eine unerfreuliche Verwirrung von Baͤumen und Geſtraͤuchen an die Stelle zu ſetzen, die man nach dem Modeausdrucke Park benamt, und ſo bloß einer todten Formel froͤhnt, indem man ſich im Wahn befindet, etwas Schoͤ- nes zu erſchaffen. Du erinnerſt mich, ſagte Ernſt, an die Ere- mitags bei Bayreuth und manchen andern Gar- ten; wenn dieſe Einſiedelei auch manche aufge- mauerte Kindereien zeigt, ſo war ſie doch in ih- rer alten Geſtalt hoͤchſt erfreulich, ich verwun- derte mich nicht wenig, ſie vor einigen Jahren ganz verwildert wieder zu finden. Es fehlt unſrer Zeit, ſagte Friedrich, ſo ſehr ſie die Natur ſucht, eben der Sinn fuͤr Natur, denn nicht allein dieſe regelmaͤßigen Gaͤrten, die dem jetzigen Geſchmacke zuwider ſind, bekehrt man zum

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/75>, abgerufen am 21.11.2024.