Freilich, sagte Ernst, stört nichts so sehr, als eine schwankende Mischung von Sparsam- keit und unerfreulicher Verschwendung, wie man wohl mit vortreflichem Wein zum Genuß gerin- ger und schlecht zubereiteter Speisen überschüttet wird, oder zu schmackhaften leckern Gerichten im Angesicht treflicher Geschirre elenden Wein hinunter würgen muß. Dieses sind die wahren Tragikomödien, die jedes gesetzte Gemüth, das nach Harmonie strebt, zu gewaltsam erschüttern. Ist das Gespräch solcher Tafel zugleich lärmend und wild, so hat man noch lange nachher am Mißton der Festlichkeit zu leiden, denn auch bei diesem Genuß muß die Scham unsichtbar regie- ren, und Unverschämtheit muß in edle Gesell- schaft niemals eintreten können.
Dazu, sagte Anton, gehört das übermäßige Trinken aus Ambition, oder wenn ein begeister- ter Wirth im halben Rausch zu dringend zum Trinken nöthigt, indem er laut und lauter ver- sichert, der Wein verdien' es, diese Flasche koste so viel und jene noch mehr, es komme ihm aber unter guten Freunden nicht darauf an, und er könne es wohl aushalten, wenn selbst noch mehr darauf gehn sollte. Dergleichen Menschen rech- nen im Hochmuth des Geldes nicht nur her, was dieses Fest kostet und jeder einzelne Gast verzehrt, sondern sie ruhen nicht, bis man den Preis jedes Tisches und Schrankes erfahren hat. Wenn sie Kunstwerke oder Raritäten besitzen,
Einleitung.
Freilich, ſagte Ernſt, ſtoͤrt nichts ſo ſehr, als eine ſchwankende Miſchung von Sparſam- keit und unerfreulicher Verſchwendung, wie man wohl mit vortreflichem Wein zum Genuß gerin- ger und ſchlecht zubereiteter Speiſen uͤberſchuͤttet wird, oder zu ſchmackhaften leckern Gerichten im Angeſicht treflicher Geſchirre elenden Wein hinunter wuͤrgen muß. Dieſes ſind die wahren Tragikomoͤdien, die jedes geſetzte Gemuͤth, das nach Harmonie ſtrebt, zu gewaltſam erſchuͤttern. Iſt das Geſpraͤch ſolcher Tafel zugleich laͤrmend und wild, ſo hat man noch lange nachher am Mißton der Feſtlichkeit zu leiden, denn auch bei dieſem Genuß muß die Scham unſichtbar regie- ren, und Unverſchaͤmtheit muß in edle Geſell- ſchaft niemals eintreten koͤnnen.
Dazu, ſagte Anton, gehoͤrt das uͤbermaͤßige Trinken aus Ambition, oder wenn ein begeiſter- ter Wirth im halben Rauſch zu dringend zum Trinken noͤthigt, indem er laut und lauter ver- ſichert, der Wein verdien' es, dieſe Flaſche koſte ſo viel und jene noch mehr, es komme ihm aber unter guten Freunden nicht darauf an, und er koͤnne es wohl aushalten, wenn ſelbſt noch mehr darauf gehn ſollte. Dergleichen Menſchen rech- nen im Hochmuth des Geldes nicht nur her, was dieſes Feſt koſtet und jeder einzelne Gaſt verzehrt, ſondern ſie ruhen nicht, bis man den Preis jedes Tiſches und Schrankes erfahren hat. Wenn ſie Kunſtwerke oder Raritaͤten beſitzen,
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Einleitung.
Freilich, ſagte Ernſt, ſtoͤrt nichts ſo ſehr,
als eine ſchwankende Miſchung von Sparſam-
keit und unerfreulicher Verſchwendung, wie man
wohl mit vortreflichem Wein zum Genuß gerin-
ger und ſchlecht zubereiteter Speiſen uͤberſchuͤttet
wird, oder zu ſchmackhaften leckern Gerichten
im Angeſicht treflicher Geſchirre elenden Wein
hinunter wuͤrgen muß. Dieſes ſind die wahren
Tragikomoͤdien, die jedes geſetzte Gemuͤth, das
nach Harmonie ſtrebt, zu gewaltſam erſchuͤttern.
Iſt das Geſpraͤch ſolcher Tafel zugleich laͤrmend
und wild, ſo hat man noch lange nachher am
Mißton der Feſtlichkeit zu leiden, denn auch bei
dieſem Genuß muß die Scham unſichtbar regie-
ren, und Unverſchaͤmtheit muß in edle Geſell-
ſchaft niemals eintreten koͤnnen.
Dazu, ſagte Anton, gehoͤrt das uͤbermaͤßige
Trinken aus Ambition, oder wenn ein begeiſter-
ter Wirth im halben Rauſch zu dringend zum
Trinken noͤthigt, indem er laut und lauter ver-
ſichert, der Wein verdien' es, dieſe Flaſche koſte
ſo viel und jene noch mehr, es komme ihm aber
unter guten Freunden nicht darauf an, und er
koͤnne es wohl aushalten, wenn ſelbſt noch mehr
darauf gehn ſollte. Dergleichen Menſchen rech-
nen im Hochmuth des Geldes nicht nur her,
was dieſes Feſt koſtet und jeder einzelne Gaſt
verzehrt, ſondern ſie ruhen nicht, bis man den
Preis jedes Tiſches und Schrankes erfahren hat.
Wenn ſie Kunſtwerke oder Raritaͤten beſitzen,
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/88>, abgerufen am 21.11.2024.
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