geistreich, oder auch nur zu gesprächig zu sein, so lange die Suppe vor ihnen steht.
Emilie lachte und winkte ihm Beifall, und Lothar fuhr also fort: so wie sich in dem eben genannten Lustspiele nach der fast elegischen Ein- leitung die anmuthigen Personen des Junkers Tobias, der Maria und des Bleichenwang als reizende Episode einführen, so genießt man zum Anbeginn der Mahlzeit Sardellen, oder Kaviar, oder irgend etwas Reitzendes, welches noch nicht unmittelbar das Bedürfniß befriedigt, und so, um nicht zu weitläufig zu werden, wechselt Be- friedigung und Reitz in angenehmen Schwin- gungen bis zum Nachtisch, der ganz launig, poetisch und muthwillig ist, wie jenes Lustspiel sich nach seinem Beschluß mit dem allerliebsten albernen, aber bedeutenden Gesang des liebens- würdigsten Narren beschließt, wie Viel Lärmen um nichts und Wie es euch gefällt mit einem Tanze endigen, oder das Wintermärchen mit der lebendigen Bildsäule.
Ich sehe wohl, sagte Clara, man sollte das Essen eben so gut in Schulen lernen, als die übrigen Wissenschaften.
Gewiß, sagte Lothar, ziemt einem gebilde- ten Menschen nichts so wenig, als ungeschickt zu essen, denn eben, weil die Nahrung ein Be- dürfniß unserer Natur ist, muß hiebei entweder die allerhöchste Simplicität obwalten, oder An- stand und Frohsinn müssen eintreten und an- muthige Heiterkeit verbreiten.
Einleitung.
geiſtreich, oder auch nur zu geſpraͤchig zu ſein, ſo lange die Suppe vor ihnen ſteht.
Emilie lachte und winkte ihm Beifall, und Lothar fuhr alſo fort: ſo wie ſich in dem eben genannten Luſtſpiele nach der faſt elegiſchen Ein- leitung die anmuthigen Perſonen des Junkers Tobias, der Maria und des Bleichenwang als reizende Epiſode einfuͤhren, ſo genießt man zum Anbeginn der Mahlzeit Sardellen, oder Kaviar, oder irgend etwas Reitzendes, welches noch nicht unmittelbar das Beduͤrfniß befriedigt, und ſo, um nicht zu weitlaͤufig zu werden, wechſelt Be- friedigung und Reitz in angenehmen Schwin- gungen bis zum Nachtiſch, der ganz launig, poetiſch und muthwillig iſt, wie jenes Luſtſpiel ſich nach ſeinem Beſchluß mit dem allerliebſten albernen, aber bedeutenden Geſang des liebens- wuͤrdigſten Narren beſchließt, wie Viel Laͤrmen um nichts und Wie es euch gefaͤllt mit einem Tanze endigen, oder das Wintermaͤrchen mit der lebendigen Bildſaͤule.
Ich ſehe wohl, ſagte Clara, man ſollte das Eſſen eben ſo gut in Schulen lernen, als die uͤbrigen Wiſſenſchaften.
Gewiß, ſagte Lothar, ziemt einem gebilde- ten Menſchen nichts ſo wenig, als ungeſchickt zu eſſen, denn eben, weil die Nahrung ein Be- duͤrfniß unſerer Natur iſt, muß hiebei entweder die allerhoͤchſte Simplicitaͤt obwalten, oder An- ſtand und Frohſinn muͤſſen eintreten und an- muthige Heiterkeit verbreiten.
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Einleitung.
geiſtreich, oder auch nur zu geſpraͤchig zu ſein,
ſo lange die Suppe vor ihnen ſteht.
Emilie lachte und winkte ihm Beifall, und
Lothar fuhr alſo fort: ſo wie ſich in dem eben
genannten Luſtſpiele nach der faſt elegiſchen Ein-
leitung die anmuthigen Perſonen des Junkers
Tobias, der Maria und des Bleichenwang als
reizende Epiſode einfuͤhren, ſo genießt man zum
Anbeginn der Mahlzeit Sardellen, oder Kaviar,
oder irgend etwas Reitzendes, welches noch nicht
unmittelbar das Beduͤrfniß befriedigt, und ſo,
um nicht zu weitlaͤufig zu werden, wechſelt Be-
friedigung und Reitz in angenehmen Schwin-
gungen bis zum Nachtiſch, der ganz launig,
poetiſch und muthwillig iſt, wie jenes Luſtſpiel
ſich nach ſeinem Beſchluß mit dem allerliebſten
albernen, aber bedeutenden Geſang des liebens-
wuͤrdigſten Narren beſchließt, wie Viel Laͤrmen
um nichts und Wie es euch gefaͤllt mit einem
Tanze endigen, oder das Wintermaͤrchen mit
der lebendigen Bildſaͤule.
Ich ſehe wohl, ſagte Clara, man ſollte
das Eſſen eben ſo gut in Schulen lernen, als
die uͤbrigen Wiſſenſchaften.
Gewiß, ſagte Lothar, ziemt einem gebilde-
ten Menſchen nichts ſo wenig, als ungeſchickt
zu eſſen, denn eben, weil die Nahrung ein Be-
duͤrfniß unſerer Natur iſt, muß hiebei entweder
die allerhoͤchſte Simplicitaͤt obwalten, oder An-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/87>, abgerufen am 21.11.2024.
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