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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung
dünkt mich, noch über die Tischgespräche etwas
sagen, so wandte er sich nach einiger Zeit an
Lothar.

Ich wollte noch bemerken, antwortete die-
ser, daß nicht jedes Gespräch, auch wenn es
an sich gut ist, an die Tafel paßt, oder wenig-
stens nicht in jede Gesellschaft. Beim stillen
häuslichen Mahl darf unter wenigen Freunden
oder in der Familie mehr Ernst, selbst Unter-
richt und Gründlichkeit herrschen, je mehr es
sich aber dem Feste nähert, um so mehr müssen
Geist und Frohsinn an die Stelle treten.

Frage nun, sagte Wilibald, ob wir auch
die gehörigen Diskurse führen? Bist du, drama-
tischer Lothar, in deinem Gewissen ganz beruhigt?

Auch hiebei, erwiederte dieser, ist das gute
Bestreben, alles was wir geben können, auch
hier muß jenes Glück unsichtbar hinzutreten und
die letzte Hand anlegen, um ein erfreuliches
wahres Kunstwerk hervor zu bringen.

Während dieser Gespräche, sagte Manfred,
ist mir eingefallen, daß ich wohl unsre Schrift-
steller und Dichter nach meinem Geschmack mit den
verschiedenartigen Gerichten vergleichen könnte.

Zum Beispiel? fragte Auguste; das wäre
eine Geschmackslehre, die mir sehr willkommen
sein würde, und wonach ich mir alles am besten
merken und eintheilen könnte.

Ein andermal, sagte Manfred, wenn du
für dergleichen ernsthafte Dinge mehr gestimmt

Einleitung
duͤnkt mich, noch uͤber die Tiſchgeſpraͤche etwas
ſagen, ſo wandte er ſich nach einiger Zeit an
Lothar.

Ich wollte noch bemerken, antwortete die-
ſer, daß nicht jedes Geſpraͤch, auch wenn es
an ſich gut iſt, an die Tafel paßt, oder wenig-
ſtens nicht in jede Geſellſchaft. Beim ſtillen
haͤuslichen Mahl darf unter wenigen Freunden
oder in der Familie mehr Ernſt, ſelbſt Unter-
richt und Gruͤndlichkeit herrſchen, je mehr es
ſich aber dem Feſte naͤhert, um ſo mehr muͤſſen
Geiſt und Frohſinn an die Stelle treten.

Frage nun, ſagte Wilibald, ob wir auch
die gehoͤrigen Diskurſe fuͤhren? Biſt du, drama-
tiſcher Lothar, in deinem Gewiſſen ganz beruhigt?

Auch hiebei, erwiederte dieſer, iſt das gute
Beſtreben, alles was wir geben koͤnnen, auch
hier muß jenes Gluͤck unſichtbar hinzutreten und
die letzte Hand anlegen, um ein erfreuliches
wahres Kunſtwerk hervor zu bringen.

Waͤhrend dieſer Geſpraͤche, ſagte Manfred,
iſt mir eingefallen, daß ich wohl unſre Schrift-
ſteller und Dichter nach meinem Geſchmack mit den
verſchiedenartigen Gerichten vergleichen koͤnnte.

Zum Beiſpiel? fragte Auguſte; das waͤre
eine Geſchmackslehre, die mir ſehr willkommen
ſein wuͤrde, und wonach ich mir alles am beſten
merken und eintheilen koͤnnte.

Ein andermal, ſagte Manfred, wenn du
fuͤr dergleichen ernſthafte Dinge mehr geſtimmt

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[83/0094] Einleitung duͤnkt mich, noch uͤber die Tiſchgeſpraͤche etwas ſagen, ſo wandte er ſich nach einiger Zeit an Lothar. Ich wollte noch bemerken, antwortete die- ſer, daß nicht jedes Geſpraͤch, auch wenn es an ſich gut iſt, an die Tafel paßt, oder wenig- ſtens nicht in jede Geſellſchaft. Beim ſtillen haͤuslichen Mahl darf unter wenigen Freunden oder in der Familie mehr Ernſt, ſelbſt Unter- richt und Gruͤndlichkeit herrſchen, je mehr es ſich aber dem Feſte naͤhert, um ſo mehr muͤſſen Geiſt und Frohſinn an die Stelle treten. Frage nun, ſagte Wilibald, ob wir auch die gehoͤrigen Diskurſe fuͤhren? Biſt du, drama- tiſcher Lothar, in deinem Gewiſſen ganz beruhigt? Auch hiebei, erwiederte dieſer, iſt das gute Beſtreben, alles was wir geben koͤnnen, auch hier muß jenes Gluͤck unſichtbar hinzutreten und die letzte Hand anlegen, um ein erfreuliches wahres Kunſtwerk hervor zu bringen. Waͤhrend dieſer Geſpraͤche, ſagte Manfred, iſt mir eingefallen, daß ich wohl unſre Schrift- ſteller und Dichter nach meinem Geſchmack mit den verſchiedenartigen Gerichten vergleichen koͤnnte. Zum Beiſpiel? fragte Auguſte; das waͤre eine Geſchmackslehre, die mir ſehr willkommen ſein wuͤrde, und wonach ich mir alles am beſten merken und eintheilen koͤnnte. Ein andermal, ſagte Manfred, wenn du fuͤr dergleichen ernſthafte Dinge mehr geſtimmt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/94>, abgerufen am 21.11.2024.