Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. überhaupt nichts so verhaßt, als wenn ein Menschdem andern eine heimliche Freude machen will, je- ner kann sich in der Ueberraschung niemals freuen, besonders wenn er die einfältigen Anstalten vorher schon gewahr wird. -- Agnes! Agnes! hüte Dich! das was Dich jetzt peinigt, ist wohl jene berüch- tigte weibliche Neugier. -- Und warum sollte ich nicht ein Weib seyn dürfen, so gut wie andre? -- Die bloße Neugier ist noch keine Sünde. -- Ich möchte den Menschen seyn, der an meiner Stelle nicht neugierig wäre. -- Meine Schwester würde eben so seyn wie ich, wenn sie nicht ihre Liebe unaufhörlich im Kopfe hätte, wenn sie aber darauf fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer stecken könne, so würde sie mich auf den Knieen um den Schlüssel bitten. Die Menschen sind immer nur nachsichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. -- Und es ist am Ende nicht einmal eine Schwach- heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim- niß verborgen liegen, von welchem mein Glück ab- hängt; ich ahnde fast so etwas: -- und ich will nur so eben hinein sehn, -- wovon soll er denn nachher wissen, daß ich drinne gewesen bin? -- Es muß doch irgend einen Grund haben, warum er es mir so strenge verboten hat, und den Grund hätte er mir sagen sollen, dann wäre meine Folg- samkeit ein vernünftiger Gehorsam, aber so han- dle ich nur aus einer blinden Unterwürfigkeit, eine Art zu leben, wogegen sich mein ganzes Herz em- pört. -- Ei! bin ich nicht eine Närrin, daß ich so viel überlege? Am Ende ist es eine Narrheit Zweite Abtheilung. uͤberhaupt nichts ſo verhaßt, als wenn ein Menſchdem andern eine heimliche Freude machen will, je- ner kann ſich in der Ueberraſchung niemals freuen, beſonders wenn er die einfaͤltigen Anſtalten vorher ſchon gewahr wird. — Agnes! Agnes! huͤte Dich! das was Dich jetzt peinigt, iſt wohl jene beruͤch- tigte weibliche Neugier. — Und warum ſollte ich nicht ein Weib ſeyn duͤrfen, ſo gut wie andre? — Die bloße Neugier iſt noch keine Suͤnde. — Ich moͤchte den Menſchen ſeyn, der an meiner Stelle nicht neugierig waͤre. — Meine Schweſter wuͤrde eben ſo ſeyn wie ich, wenn ſie nicht ihre Liebe unaufhoͤrlich im Kopfe haͤtte, wenn ſie aber darauf fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer ſtecken koͤnne, ſo wuͤrde ſie mich auf den Knieen um den Schluͤſſel bitten. Die Menſchen ſind immer nur nachſichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. — Und es iſt am Ende nicht einmal eine Schwach- heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim- niß verborgen liegen, von welchem mein Gluͤck ab- haͤngt; ich ahnde faſt ſo etwas: — und ich will nur ſo eben hinein ſehn, — wovon ſoll er denn nachher wiſſen, daß ich drinne geweſen bin? — Es muß doch irgend einen Grund haben, warum er es mir ſo ſtrenge verboten hat, und den Grund haͤtte er mir ſagen ſollen, dann waͤre meine Folg- ſamkeit ein vernuͤnftiger Gehorſam, aber ſo han- dle ich nur aus einer blinden Unterwuͤrfigkeit, eine Art zu leben, wogegen ſich mein ganzes Herz em- poͤrt. — Ei! bin ich nicht eine Naͤrrin, daß ich ſo viel uͤberlege? Am Ende iſt es eine Narrheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#AGN"> <p><pb facs="#f0111" n="102"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> uͤberhaupt nichts ſo verhaßt, als wenn ein Menſch<lb/> dem andern eine heimliche Freude machen will, je-<lb/> ner kann ſich in der Ueberraſchung niemals freuen,<lb/> beſonders wenn er die einfaͤltigen Anſtalten vorher<lb/> ſchon gewahr wird. — Agnes! Agnes! huͤte Dich!<lb/> das was Dich jetzt peinigt, iſt wohl jene beruͤch-<lb/> tigte weibliche Neugier. — Und warum ſollte ich<lb/> nicht ein Weib ſeyn duͤrfen, ſo gut wie andre? —<lb/> Die bloße Neugier iſt noch keine Suͤnde. — Ich<lb/> moͤchte den Menſchen ſeyn, der an meiner Stelle<lb/> nicht neugierig waͤre. — Meine Schweſter wuͤrde<lb/> eben ſo ſeyn wie ich, wenn ſie nicht ihre Liebe<lb/> unaufhoͤrlich im Kopfe haͤtte, wenn ſie aber darauf<lb/> fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer ſtecken<lb/> koͤnne, ſo wuͤrde ſie mich auf den Knieen um den<lb/> Schluͤſſel bitten. Die Menſchen ſind immer nur<lb/> nachſichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. —<lb/> Und es iſt am Ende nicht einmal eine Schwach-<lb/> heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim-<lb/> niß verborgen liegen, von welchem mein Gluͤck ab-<lb/> haͤngt; ich ahnde faſt ſo etwas: — und ich will<lb/> nur ſo eben hinein ſehn, — wovon ſoll er denn<lb/> nachher wiſſen, daß ich drinne geweſen bin? —<lb/> Es muß doch irgend einen Grund haben, warum<lb/> er es mir ſo ſtrenge verboten hat, und den Grund<lb/> haͤtte er mir ſagen ſollen, dann waͤre meine Folg-<lb/> ſamkeit ein vernuͤnftiger Gehorſam, aber ſo han-<lb/> dle ich nur aus einer blinden Unterwuͤrfigkeit, eine<lb/> Art zu leben, wogegen ſich mein ganzes Herz em-<lb/> poͤrt. — Ei! bin ich nicht eine Naͤrrin, daß ich<lb/> ſo viel uͤberlege? Am Ende iſt es eine Narrheit<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0111]
Zweite Abtheilung.
uͤberhaupt nichts ſo verhaßt, als wenn ein Menſch
dem andern eine heimliche Freude machen will, je-
ner kann ſich in der Ueberraſchung niemals freuen,
beſonders wenn er die einfaͤltigen Anſtalten vorher
ſchon gewahr wird. — Agnes! Agnes! huͤte Dich!
das was Dich jetzt peinigt, iſt wohl jene beruͤch-
tigte weibliche Neugier. — Und warum ſollte ich
nicht ein Weib ſeyn duͤrfen, ſo gut wie andre? —
Die bloße Neugier iſt noch keine Suͤnde. — Ich
moͤchte den Menſchen ſeyn, der an meiner Stelle
nicht neugierig waͤre. — Meine Schweſter wuͤrde
eben ſo ſeyn wie ich, wenn ſie nicht ihre Liebe
unaufhoͤrlich im Kopfe haͤtte, wenn ſie aber darauf
fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer ſtecken
koͤnne, ſo wuͤrde ſie mich auf den Knieen um den
Schluͤſſel bitten. Die Menſchen ſind immer nur
nachſichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. —
Und es iſt am Ende nicht einmal eine Schwach-
heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim-
niß verborgen liegen, von welchem mein Gluͤck ab-
haͤngt; ich ahnde faſt ſo etwas: — und ich will
nur ſo eben hinein ſehn, — wovon ſoll er denn
nachher wiſſen, daß ich drinne geweſen bin? —
Es muß doch irgend einen Grund haben, warum
er es mir ſo ſtrenge verboten hat, und den Grund
haͤtte er mir ſagen ſollen, dann waͤre meine Folg-
ſamkeit ein vernuͤnftiger Gehorſam, aber ſo han-
dle ich nur aus einer blinden Unterwuͤrfigkeit, eine
Art zu leben, wogegen ſich mein ganzes Herz em-
poͤrt. — Ei! bin ich nicht eine Naͤrrin, daß ich
ſo viel uͤberlege? Am Ende iſt es eine Narrheit
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