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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Sonnenschein nur in gebrochenen Schimmern her-
unter fallen konnte; wenn das Jagdhorn gebla-
sen ward, so klang es fürchterlich in der grünen
Einsamkeit. In der dichtesten Gegend des Forstes
lag nun grade das Haus des Jägers. -- Die
Kinder wuchsen in der Wildniß auf, und sahen gar
keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war
schon seit lange gestorben.

Um eine gewisse Jahrszeit traf sichs immer,
daß der Vater sich den ganzen Tag im Hause
eingeschlossen hielt, und dann hörten die Kinder
ein seltsames Rumoren um das Haus herum, ein
Winseln und Jauchzen, ein Laufen und Schreien,
in Summa, ein Gelärm, wie vom leibhaftigen
Satanas. Man brachte dann die Zeit in der
Hütte mit Singen und Beten zu, und der Vater
warnte die Kinder, ja nicht hinaus zu gehn.

Es traf sich aber, daß er einst in der Woche,
in welche dieser Tag fiel, verreisen mußte. Er
gab die strengsten Befehle, aber das Mädchen,
theils aus Neugier, theils weil sie den Tag aus Un-
achtsamkeit vergessen hatte, geht aus der Hütte. --
Nicht weit vom Hause lag ein grauer stillstehender
See, um den uralte verwitterte Weiden standen.
Das Mädchen setzt sich an den See, und, indem
sie hinein sieht, ist es ihr, als wenn ihr fremde
bärtige Gesichter entgegen schauen; da fangen die
Bäume an zu rauschen, da ist es, als wenn es in
der Ferne geht, da kocht das Wasser und wird
schwarz und immer schwärzer; -- mit einem male,
sieh, springt es in der trüben Woge wie Fisch-
Zweite Abtheilung.
Sonnenſchein nur in gebrochenen Schimmern her-
unter fallen konnte; wenn das Jagdhorn gebla-
ſen ward, ſo klang es fuͤrchterlich in der gruͤnen
Einſamkeit. In der dichteſten Gegend des Forſtes
lag nun grade das Haus des Jaͤgers. — Die
Kinder wuchſen in der Wildniß auf, und ſahen gar
keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war
ſchon ſeit lange geſtorben.

Um eine gewiſſe Jahrszeit traf ſichs immer,
daß der Vater ſich den ganzen Tag im Hauſe
eingeſchloſſen hielt, und dann hoͤrten die Kinder
ein ſeltſames Rumoren um das Haus herum, ein
Winſeln und Jauchzen, ein Laufen und Schreien,
in Summa, ein Gelaͤrm, wie vom leibhaftigen
Satanas. Man brachte dann die Zeit in der
Huͤtte mit Singen und Beten zu, und der Vater
warnte die Kinder, ja nicht hinaus zu gehn.

Es traf ſich aber, daß er einſt in der Woche,
in welche dieſer Tag fiel, verreiſen mußte. Er
gab die ſtrengſten Befehle, aber das Maͤdchen,
theils aus Neugier, theils weil ſie den Tag aus Un-
achtſamkeit vergeſſen hatte, geht aus der Huͤtte. —
Nicht weit vom Hauſe lag ein grauer ſtillſtehender
See, um den uralte verwitterte Weiden ſtanden.
Das Maͤdchen ſetzt ſich an den See, und, indem
ſie hinein ſieht, iſt es ihr, als wenn ihr fremde
baͤrtige Geſichter entgegen ſchauen; da fangen die
Baͤume an zu rauſchen, da iſt es, als wenn es in
der Ferne geht, da kocht das Waſſer und wird
ſchwarz und immer ſchwaͤrzer; — mit einem male,
ſieh, ſpringt es in der truͤben Woge wie Fiſch-
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[116/0125] Zweite Abtheilung. Sonnenſchein nur in gebrochenen Schimmern her- unter fallen konnte; wenn das Jagdhorn gebla- ſen ward, ſo klang es fuͤrchterlich in der gruͤnen Einſamkeit. In der dichteſten Gegend des Forſtes lag nun grade das Haus des Jaͤgers. — Die Kinder wuchſen in der Wildniß auf, und ſahen gar keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war ſchon ſeit lange geſtorben. Um eine gewiſſe Jahrszeit traf ſichs immer, daß der Vater ſich den ganzen Tag im Hauſe eingeſchloſſen hielt, und dann hoͤrten die Kinder ein ſeltſames Rumoren um das Haus herum, ein Winſeln und Jauchzen, ein Laufen und Schreien, in Summa, ein Gelaͤrm, wie vom leibhaftigen Satanas. Man brachte dann die Zeit in der Huͤtte mit Singen und Beten zu, und der Vater warnte die Kinder, ja nicht hinaus zu gehn. Es traf ſich aber, daß er einſt in der Woche, in welche dieſer Tag fiel, verreiſen mußte. Er gab die ſtrengſten Befehle, aber das Maͤdchen, theils aus Neugier, theils weil ſie den Tag aus Un- achtſamkeit vergeſſen hatte, geht aus der Huͤtte. — Nicht weit vom Hauſe lag ein grauer ſtillſtehender See, um den uralte verwitterte Weiden ſtanden. Das Maͤdchen ſetzt ſich an den See, und, indem ſie hinein ſieht, iſt es ihr, als wenn ihr fremde baͤrtige Geſichter entgegen ſchauen; da fangen die Baͤume an zu rauſchen, da iſt es, als wenn es in der Ferne geht, da kocht das Waſſer und wird ſchwarz und immer ſchwaͤrzer; — mit einem male, ſieh, ſpringt es in der truͤben Woge wie Fiſch-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/125>, abgerufen am 24.11.2024.