Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. ben seine Werke noch einzelne wunderbar schöneStellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen folgendes herzusagen, bevor wir uns trennen. Alle waren begierig, und Ernst deklamirte fol- gende Verse: Marcello. Aus den uralten Tiefen, In denen Sehnsucht, Schmerz und Wollust brannte, Die Welt sich selbst erkannte Und nicht mehr ihre ewgen Keime schliefen, Entzünden sich von neuen Die Strahlen, wollen mich von mir befreien. -- O Mensch, was können Sinnen, Gefangen in den alten Frevel-Banden, In den erstorbnen Landen, Vor Zittern, Qual und herber Angst beginnen? So hellres Sehnsuchtscheinen Muß dich nur fester in dir selbst versteinen! Da bricht der Zorn in Wogen Herüber, reißt das Herz mit Sturmgewalten; Wie kann da immer halten Der Panzer, der mit Dumpfheit es umzogen? Gieb, Seele, dich gefangen, Errette dich zerschmelzend von dem Bangen. Vom Abgrund seh ich spiegeln Die grünen Blitze durch das nächtge Dunkel, Ein freudenreich Gefunkel Erröthet sich, da klingt mit Engelflügeln Entbunden und gefunden Der Wollhaut, zitternd, aus des Herzens Wunden. Zweite Abtheilung. ben ſeine Werke noch einzelne wunderbar ſchoͤneStellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen folgendes herzuſagen, bevor wir uns trennen. Alle waren begierig, und Ernſt deklamirte fol- gende Verſe: Marcello. Aus den uralten Tiefen, In denen Sehnſucht, Schmerz und Wolluſt brannte, Die Welt ſich ſelbſt erkannte Und nicht mehr ihre ewgen Keime ſchliefen, Entzuͤnden ſich von neuen Die Strahlen, wollen mich von mir befreien. — O Menſch, was koͤnnen Sinnen, Gefangen in den alten Frevel-Banden, In den erſtorbnen Landen, Vor Zittern, Qual und herber Angſt beginnen? So hellres Sehnſuchtſcheinen Muß dich nur feſter in dir ſelbſt verſteinen! Da bricht der Zorn in Wogen Heruͤber, reißt das Herz mit Sturmgewalten; Wie kann da immer halten Der Panzer, der mit Dumpfheit es umzogen? Gieb, Seele, dich gefangen, Errette dich zerſchmelzend von dem Bangen. Vom Abgrund ſeh ich ſpiegeln Die gruͤnen Blitze durch das naͤchtge Dunkel, Ein freudenreich Gefunkel Erroͤthet ſich, da klingt mit Engelfluͤgeln Entbunden und gefunden Der Wollhaut, zitternd, aus des Herzens Wunden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#WINFRED"> <p><pb facs="#f0151" n="142"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ben ſeine Werke noch einzelne wunderbar ſchoͤne<lb/> Stellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm<lb/> gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen<lb/> folgendes herzuſagen, bevor wir uns trennen.<lb/> Alle waren begierig, und Ernſt deklamirte fol-<lb/> gende Verſe:</p><lb/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Marcello</hi>.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Aus den uralten Tiefen,</l><lb/> <l>In denen Sehnſucht, Schmerz und Wolluſt brannte,</l><lb/> <l>Die Welt ſich ſelbſt erkannte</l><lb/> <l>Und nicht mehr ihre ewgen Keime ſchliefen,</l><lb/> <l>Entzuͤnden ſich von neuen</l><lb/> <l>Die Strahlen, wollen mich von mir befreien. —</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>O Menſch, was koͤnnen Sinnen,</l><lb/> <l>Gefangen in den alten Frevel-Banden,</l><lb/> <l>In den erſtorbnen Landen,</l><lb/> <l>Vor Zittern, Qual und herber Angſt beginnen?</l><lb/> <l>So hellres Sehnſuchtſcheinen</l><lb/> <l>Muß dich nur feſter in dir ſelbſt verſteinen!</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Da bricht der Zorn in Wogen</l><lb/> <l>Heruͤber, reißt das Herz mit Sturmgewalten;</l><lb/> <l>Wie kann da immer halten</l><lb/> <l>Der Panzer, der mit Dumpfheit es umzogen?</l><lb/> <l>Gieb, Seele, dich gefangen,</l><lb/> <l>Errette dich zerſchmelzend von dem Bangen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Vom Abgrund ſeh ich ſpiegeln</l><lb/> <l>Die gruͤnen Blitze durch das naͤchtge Dunkel,</l><lb/> <l>Ein freudenreich Gefunkel</l><lb/> <l>Erroͤthet ſich, da klingt mit Engelfluͤgeln</l><lb/> <l>Entbunden und gefunden</l><lb/> <l>Der Wollhaut, zitternd, aus des Herzens Wunden.</l> </lg><lb/> </lg> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [142/0151]
Zweite Abtheilung.
ben ſeine Werke noch einzelne wunderbar ſchoͤne
Stellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm
gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen
folgendes herzuſagen, bevor wir uns trennen.
Alle waren begierig, und Ernſt deklamirte fol-
gende Verſe:
Marcello.
Aus den uralten Tiefen,
In denen Sehnſucht, Schmerz und Wolluſt brannte,
Die Welt ſich ſelbſt erkannte
Und nicht mehr ihre ewgen Keime ſchliefen,
Entzuͤnden ſich von neuen
Die Strahlen, wollen mich von mir befreien. —
O Menſch, was koͤnnen Sinnen,
Gefangen in den alten Frevel-Banden,
In den erſtorbnen Landen,
Vor Zittern, Qual und herber Angſt beginnen?
So hellres Sehnſuchtſcheinen
Muß dich nur feſter in dir ſelbſt verſteinen!
Da bricht der Zorn in Wogen
Heruͤber, reißt das Herz mit Sturmgewalten;
Wie kann da immer halten
Der Panzer, der mit Dumpfheit es umzogen?
Gieb, Seele, dich gefangen,
Errette dich zerſchmelzend von dem Bangen.
Vom Abgrund ſeh ich ſpiegeln
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Erroͤthet ſich, da klingt mit Engelfluͤgeln
Entbunden und gefunden
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