Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Ich sehe sie entfliehen Die schwarze Angst, den Zorn, die wilden Qualen, Die goldnen Sonnenstrahlen Wie im Triumphe nach dem Feinde ziehen: So wohl thut mir das Reuen, Daß Schmerzen, Wunden, Thränen mich jetzt freuen. Zum Paradiesesgarten Hinauf, hinauf, erklimmt ihn ihr Gesänge! Ermuthigt im Gedränge Seht dort die Engel, welche auf euch warten. Weß Auge schaut hernieder Und blizt mir Lieb und Furcht in meine Lieder? Des Auges ernstes Blicken Macht mich in stummer Freudenangst vergehen; O wundersüße Wehen, Euch bricht das Herz in Leid und im Entzücken! Hosannah Dir zu singen Wird dort vielleicht als Engel mir gelingen! Als die Gesellschaft sich am folgenden Mor- gen versammelte, waren alle etwas verstimmt, denn ein trüber Himmel lag auf der schönen Landschaft, und ein Regen tröpfelte herab, dessen ruhiger und langsamer Fall fortdauerndes schlech- tes Wetter anzukündigen schien. Da kein un- terhaltendes Gespräch in den Gang kommen wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu- flucht, und Clara kramte in den Musikalien, um Stücke auszusuchen, die man vorzüglich liebte, und die seit lange nicht waren gesungen wor- Zweite Abtheilung. Ich ſehe ſie entfliehen Die ſchwarze Angſt, den Zorn, die wilden Qualen, Die goldnen Sonnenſtrahlen Wie im Triumphe nach dem Feinde ziehen: So wohl thut mir das Reuen, Daß Schmerzen, Wunden, Thraͤnen mich jetzt freuen. Zum Paradieſesgarten Hinauf, hinauf, erklimmt ihn ihr Geſaͤnge! Ermuthigt im Gedraͤnge Seht dort die Engel, welche auf euch warten. Weß Auge ſchaut hernieder Und blizt mir Lieb und Furcht in meine Lieder? Des Auges ernſtes Blicken Macht mich in ſtummer Freudenangſt vergehen; O wunderſuͤße Wehen, Euch bricht das Herz in Leid und im Entzuͤcken! Hoſannah Dir zu ſingen Wird dort vielleicht als Engel mir gelingen! Als die Geſellſchaft ſich am folgenden Mor- gen verſammelte, waren alle etwas verſtimmt, denn ein truͤber Himmel lag auf der ſchoͤnen Landſchaft, und ein Regen troͤpfelte herab, deſſen ruhiger und langſamer Fall fortdauerndes ſchlech- tes Wetter anzukuͤndigen ſchien. Da kein un- terhaltendes Geſpraͤch in den Gang kommen wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu- flucht, und Clara kramte in den Muſikalien, um Stuͤcke auszuſuchen, die man vorzuͤglich liebte, und die ſeit lange nicht waren geſungen wor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#WINFRED"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0152" n="143"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <lg n="5"> <l>Ich ſehe ſie entfliehen</l><lb/> <l>Die ſchwarze Angſt, den Zorn, die wilden Qualen,</l><lb/> <l>Die goldnen Sonnenſtrahlen</l><lb/> <l>Wie im Triumphe nach dem Feinde ziehen:</l><lb/> <l>So wohl thut mir das Reuen,</l><lb/> <l>Daß Schmerzen, Wunden, Thraͤnen mich jetzt freuen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Zum Paradieſesgarten</l><lb/> <l>Hinauf, hinauf, erklimmt ihn ihr Geſaͤnge!</l><lb/> <l>Ermuthigt im Gedraͤnge</l><lb/> <l>Seht dort die Engel, welche auf euch warten.</l><lb/> <l>Weß Auge ſchaut hernieder</l><lb/> <l>Und blizt mir Lieb und Furcht in meine Lieder?</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Des Auges ernſtes Blicken</l><lb/> <l>Macht mich in ſtummer Freudenangſt vergehen;</l><lb/> <l>O wunderſuͤße Wehen,</l><lb/> <l>Euch bricht das Herz in Leid und im Entzuͤcken!</l><lb/> <l>Hoſannah Dir zu ſingen</l><lb/> <l>Wird dort vielleicht als Engel mir gelingen!</l> </lg> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Als die Geſellſchaft ſich am folgenden Mor-<lb/> gen verſammelte, waren alle etwas verſtimmt,<lb/> denn ein truͤber Himmel lag auf der ſchoͤnen<lb/> Landſchaft, und ein Regen troͤpfelte herab, deſſen<lb/> ruhiger und langſamer Fall fortdauerndes ſchlech-<lb/> tes Wetter anzukuͤndigen ſchien. Da kein un-<lb/> terhaltendes Geſpraͤch in den Gang kommen<lb/> wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu-<lb/> flucht, und Clara kramte in den Muſikalien, um<lb/> Stuͤcke auszuſuchen, die man vorzuͤglich liebte,<lb/> und die ſeit lange nicht waren geſungen wor-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0152]
Zweite Abtheilung.
Ich ſehe ſie entfliehen
Die ſchwarze Angſt, den Zorn, die wilden Qualen,
Die goldnen Sonnenſtrahlen
Wie im Triumphe nach dem Feinde ziehen:
So wohl thut mir das Reuen,
Daß Schmerzen, Wunden, Thraͤnen mich jetzt freuen.
Zum Paradieſesgarten
Hinauf, hinauf, erklimmt ihn ihr Geſaͤnge!
Ermuthigt im Gedraͤnge
Seht dort die Engel, welche auf euch warten.
Weß Auge ſchaut hernieder
Und blizt mir Lieb und Furcht in meine Lieder?
Des Auges ernſtes Blicken
Macht mich in ſtummer Freudenangſt vergehen;
O wunderſuͤße Wehen,
Euch bricht das Herz in Leid und im Entzuͤcken!
Hoſannah Dir zu ſingen
Wird dort vielleicht als Engel mir gelingen!
Als die Geſellſchaft ſich am folgenden Mor-
gen verſammelte, waren alle etwas verſtimmt,
denn ein truͤber Himmel lag auf der ſchoͤnen
Landſchaft, und ein Regen troͤpfelte herab, deſſen
ruhiger und langſamer Fall fortdauerndes ſchlech-
tes Wetter anzukuͤndigen ſchien. Da kein un-
terhaltendes Geſpraͤch in den Gang kommen
wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu-
flucht, und Clara kramte in den Muſikalien, um
Stuͤcke auszuſuchen, die man vorzuͤglich liebte,
und die ſeit lange nicht waren geſungen wor-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |