Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Der gestiefelte Kater. meine Tochter, wenn Dir auch die zärtlichste Ge-genliebe zu Theil würde, -- ach, Kind, sieh, so dicke Bücher haben weise Männer voll geschrieben, oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar- zustellen, -- eben Liebe und Gegenliebe können sich doch elend machen: das glücklichste, das seeligste Gefühl kann uns zu Grunde richten; die Liebe ist gleichsam ein künstlicher Vexierbecher, statt Nektar trinken wir oft Gift, dann ist unser Lager von Thränen naß, alle Hofnung, aller Trost ist dahin. -- (Man hört blasen.) Es ist doch noch nicht Tisch- zeit? -- Gewiß wieder ein neuer Prinz, der sich in Dich verlieben will. -- Hüte Dich, meine Tochter, Du bist mein einziges Kind, und Du glaubst nicht, wie sehr mir Dein Glück am Herzen liegt. (Er küßt sie und geht ab, im Parterr wird geklatscht.) Fischer. Das ist doch einmal eine Scene, in der gesunder Menschenverstand anzutreffen ist. Schlosser. Ich bin auch gerührt. Müller. Es ist ein treflicher Fürst. Fischer. Mit der Krone brauchte er nun gerade nicht aufzutreten. Schlosser. Es stört die Theilnahme ganz, die man für ihn als zärtlicher Vater hat. Die Prinzessin (allein). Ich begreife gar nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein Herz mit Liebe gerührt hat. Die Warnungen mei- nes Vaters liegen mir immer im Gedächtniß, er ist ein großer Fürst, und dabei doch ein guter Va- ter, mein Glück steht ihm beständig vor Augen; er ist vom Volk geliebt, er hat Talente und Reich- Der geſtiefelte Kater. meine Tochter, wenn Dir auch die zaͤrtlichſte Ge-genliebe zu Theil wuͤrde, — ach, Kind, ſieh, ſo dicke Buͤcher haben weiſe Maͤnner voll geſchrieben, oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar- zuſtellen, — eben Liebe und Gegenliebe koͤnnen ſich doch elend machen: das gluͤcklichſte, das ſeeligſte Gefuͤhl kann uns zu Grunde richten; die Liebe iſt gleichſam ein kuͤnſtlicher Vexierbecher, ſtatt Nektar trinken wir oft Gift, dann iſt unſer Lager von Thraͤnen naß, alle Hofnung, aller Troſt iſt dahin. — (Man hoͤrt blaſen.) Es iſt doch noch nicht Tiſch- zeit? — Gewiß wieder ein neuer Prinz, der ſich in Dich verlieben will. — Huͤte Dich, meine Tochter, Du biſt mein einziges Kind, und Du glaubſt nicht, wie ſehr mir Dein Gluͤck am Herzen liegt. (Er kuͤßt ſie und geht ab, im Parterr wird geklatſcht.) Fiſcher. Das iſt doch einmal eine Scene, in der geſunder Menſchenverſtand anzutreffen iſt. Schloſſer. Ich bin auch geruͤhrt. Muͤller. Es iſt ein treflicher Fuͤrſt. Fiſcher. Mit der Krone brauchte er nun gerade nicht aufzutreten. Schloſſer. Es ſtoͤrt die Theilnahme ganz, die man fuͤr ihn als zaͤrtlicher Vater hat. Die Prinzeſſin (allein). Ich begreife gar nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein Herz mit Liebe geruͤhrt hat. Die Warnungen mei- nes Vaters liegen mir immer im Gedaͤchtniß, er iſt ein großer Fuͤrſt, und dabei doch ein guter Va- ter, mein Gluͤck ſteht ihm beſtaͤndig vor Augen; er iſt vom Volk geliebt, er hat Talente und Reich- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#KOENIG"> <p><pb facs="#f0176" n="167"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der geſtiefelte Kater</hi>.</fw><lb/> meine Tochter, wenn Dir auch die zaͤrtlichſte Ge-<lb/> genliebe zu Theil wuͤrde, — ach, Kind, ſieh, ſo<lb/> dicke Buͤcher haben weiſe Maͤnner voll geſchrieben,<lb/> oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar-<lb/> zuſtellen, — eben Liebe und Gegenliebe koͤnnen ſich<lb/> doch elend machen: das gluͤcklichſte, das ſeeligſte<lb/> Gefuͤhl kann uns zu Grunde richten; die Liebe iſt<lb/> gleichſam ein kuͤnſtlicher Vexierbecher, ſtatt Nektar<lb/> trinken wir oft Gift, dann iſt unſer Lager von<lb/> Thraͤnen naß, alle Hofnung, aller Troſt iſt dahin.<lb/> — <stage>(Man hoͤrt blaſen.)</stage> Es iſt doch noch nicht Tiſch-<lb/> zeit? — Gewiß wieder ein neuer Prinz, der ſich<lb/> in Dich verlieben will. — Huͤte Dich, meine<lb/> Tochter, Du biſt mein einziges Kind, und Du<lb/> glaubſt nicht, wie ſehr mir Dein Gluͤck am Herzen<lb/> liegt.</p> <stage>(Er kuͤßt ſie und geht ab, im Parterr wird geklatſcht.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#FISCHER"> <speaker><hi rendition="#g">Fiſcher</hi>.</speaker> <p>Das iſt doch einmal eine Scene,<lb/> in der geſunder Menſchenverſtand anzutreffen iſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHLOSS"> <speaker><hi rendition="#g">Schloſſer</hi>.</speaker> <p>Ich bin auch geruͤhrt.</p> </sp><lb/> <sp who="#MUELLER"> <speaker><hi rendition="#g">Muͤller</hi>.</speaker> <p>Es iſt ein treflicher Fuͤrſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#FISCHER"> <speaker><hi rendition="#g">Fiſcher</hi>.</speaker> <p>Mit der Krone brauchte er nun<lb/> gerade nicht aufzutreten.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHLOSS"> <speaker><hi rendition="#g">Schloſſer</hi>.</speaker> <p>Es ſtoͤrt die Theilnahme ganz,<lb/> die man fuͤr ihn als zaͤrtlicher Vater hat.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker> <hi rendition="#g">Die Prinzeſſin</hi> </speaker> <stage>(allein).</stage> <p>Ich begreife gar<lb/> nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein<lb/> Herz mit Liebe geruͤhrt hat. 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Der geſtiefelte Kater.
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dicke Buͤcher haben weiſe Maͤnner voll geſchrieben,
oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar-
zuſtellen, — eben Liebe und Gegenliebe koͤnnen ſich
doch elend machen: das gluͤcklichſte, das ſeeligſte
Gefuͤhl kann uns zu Grunde richten; die Liebe iſt
gleichſam ein kuͤnſtlicher Vexierbecher, ſtatt Nektar
trinken wir oft Gift, dann iſt unſer Lager von
Thraͤnen naß, alle Hofnung, aller Troſt iſt dahin.
— (Man hoͤrt blaſen.) Es iſt doch noch nicht Tiſch-
zeit? — Gewiß wieder ein neuer Prinz, der ſich
in Dich verlieben will. — Huͤte Dich, meine
Tochter, Du biſt mein einziges Kind, und Du
glaubſt nicht, wie ſehr mir Dein Gluͤck am Herzen
liegt. (Er kuͤßt ſie und geht ab, im Parterr wird geklatſcht.)
Fiſcher. Das iſt doch einmal eine Scene,
in der geſunder Menſchenverſtand anzutreffen iſt.
Schloſſer. Ich bin auch geruͤhrt.
Muͤller. Es iſt ein treflicher Fuͤrſt.
Fiſcher. Mit der Krone brauchte er nun
gerade nicht aufzutreten.
Schloſſer. Es ſtoͤrt die Theilnahme ganz,
die man fuͤr ihn als zaͤrtlicher Vater hat.
Die Prinzeſſin (allein). Ich begreife gar
nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein
Herz mit Liebe geruͤhrt hat. Die Warnungen mei-
nes Vaters liegen mir immer im Gedaͤchtniß, er
iſt ein großer Fuͤrſt, und dabei doch ein guter Va-
ter, mein Gluͤck ſteht ihm beſtaͤndig vor Augen;
er iſt vom Volk geliebt, er hat Talente und Reich-
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