Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. thümer, er ist sanft wie ein Lamm, aber plötzlichkann ihn der wildeste Zorn übereilen, daß er sich und seine Bestimmung vergißt. Ja, so ist Glück immer mit Unglück gepaart. Meine Freude sind die Wissenschaften und die Künste, Bücher machen all mein Glück aus. Die Prinzessin, Leander der Hofgelehrte. Prinzessin. Sie kommen gerade recht, Herr Hofgelehrter. Leander. Ich bin zu den Befehlen Eurer Königlichen Hoheit. (Setzen sich.) Prinzessin. Hier ist mein Versuch, ich hab ihn Nachtgedanken überschrieben. Leander (liest). Treflich! Geistreich! -- Ach! mir ist, als hör ich die mitternächtliche Stunde Zwölfe schlagen. Wann haben Sie das geschrieben? Prinzessin. Gestern Mittag, nach dem Essen. Leander. Schön gedacht! Wahrlich schön gedacht! -- Aber, mit gnädigster Erlaubniß: -- "Der Mond scheint betrübt in der Welt herein," -- wenn Sie es nicht ungnädig vermerken wollen, so muß es heißen: in die Welt. Prinzessin. Schon gut, ich will es mir für die Zukunft merken. Es ist einfältig, daß ei- nem das Dichten so schwer gemacht wird, man kann keine Zeile schreiben, ohne einen Sprachfeh- ler zu machen. Leander. Das ist der Eigensinn unsrer Sprache. Zweite Abtheilung. thuͤmer, er iſt ſanft wie ein Lamm, aber ploͤtzlichkann ihn der wildeſte Zorn uͤbereilen, daß er ſich und ſeine Beſtimmung vergißt. Ja, ſo iſt Gluͤck immer mit Ungluͤck gepaart. Meine Freude ſind die Wiſſenſchaften und die Kuͤnſte, Buͤcher machen all mein Gluͤck aus. Die Prinzeſſin, Leander der Hofgelehrte. Prinzeſſin. Sie kommen gerade recht, Herr Hofgelehrter. Leander. Ich bin zu den Befehlen Eurer Koͤniglichen Hoheit. (Setzen ſich.) Prinzeſſin. Hier iſt mein Verſuch, ich hab ihn Nachtgedanken uͤberſchrieben. Leander (lieſt). Treflich! Geiſtreich! — Ach! mir iſt, als hoͤr ich die mitternaͤchtliche Stunde Zwoͤlfe ſchlagen. Wann haben Sie das geſchrieben? Prinzeſſin. Geſtern Mittag, nach dem Eſſen. Leander. Schoͤn gedacht! Wahrlich ſchoͤn gedacht! — Aber, mit gnaͤdigſter Erlaubniß: — „Der Mond ſcheint betruͤbt in der Welt herein,“ — wenn Sie es nicht ungnaͤdig vermerken wollen, ſo muß es heißen: in die Welt. Prinzeſſin. Schon gut, ich will es mir fuͤr die Zukunft merken. Es iſt einfaͤltig, daß ei- nem das Dichten ſo ſchwer gemacht wird, man kann keine Zeile ſchreiben, ohne einen Sprachfeh- ler zu machen. Leander. Das iſt der Eigenſinn unſrer Sprache. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#PRINZI"> <p><pb facs="#f0177" n="168"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> thuͤmer, er iſt ſanft wie ein Lamm, aber ploͤtzlich<lb/> kann ihn der wildeſte Zorn uͤbereilen, daß er ſich<lb/> und ſeine Beſtimmung vergißt. Ja, ſo iſt Gluͤck<lb/> immer mit Ungluͤck gepaart. Meine Freude ſind<lb/> die Wiſſenſchaften und die Kuͤnſte, Buͤcher machen<lb/> all mein Gluͤck aus.</p><lb/> <stage><hi rendition="#g">Die Prinzeſſin, Leander</hi> der Hofgelehrte.</stage> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Sie kommen gerade recht, Herr<lb/> Hofgelehrter.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Ich bin zu den Befehlen Eurer<lb/> Koͤniglichen Hoheit.</p> <stage>(Setzen ſich.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Hier iſt mein Verſuch, ich<lb/> hab ihn <hi rendition="#g">Nachtgedanken</hi> uͤberſchrieben.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker> <hi rendition="#g">Leander</hi> </speaker> <stage>(lieſt).</stage> <p>Treflich! Geiſtreich! — Ach!<lb/> mir iſt, als hoͤr ich die mitternaͤchtliche Stunde<lb/> Zwoͤlfe ſchlagen. Wann haben Sie das geſchrieben?</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Geſtern Mittag, nach dem<lb/> Eſſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Schoͤn gedacht! Wahrlich ſchoͤn<lb/> gedacht! — Aber, mit gnaͤdigſter Erlaubniß: —<lb/> „Der Mond ſcheint betruͤbt in <hi rendition="#g">der</hi> Welt herein,“<lb/> — wenn Sie es nicht ungnaͤdig vermerken wollen,<lb/> ſo muß es heißen: in <hi rendition="#g">die</hi> Welt.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Schon gut, ich will es mir<lb/> fuͤr die Zukunft merken. Es iſt einfaͤltig, daß ei-<lb/> nem das Dichten ſo ſchwer gemacht wird, man<lb/> kann keine Zeile ſchreiben, ohne einen Sprachfeh-<lb/> ler zu machen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Das iſt der Eigenſinn unſrer<lb/> Sprache.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [168/0177]
Zweite Abtheilung.
thuͤmer, er iſt ſanft wie ein Lamm, aber ploͤtzlich
kann ihn der wildeſte Zorn uͤbereilen, daß er ſich
und ſeine Beſtimmung vergißt. Ja, ſo iſt Gluͤck
immer mit Ungluͤck gepaart. Meine Freude ſind
die Wiſſenſchaften und die Kuͤnſte, Buͤcher machen
all mein Gluͤck aus.
Die Prinzeſſin, Leander der Hofgelehrte.
Prinzeſſin. Sie kommen gerade recht, Herr
Hofgelehrter.
Leander. Ich bin zu den Befehlen Eurer
Koͤniglichen Hoheit. (Setzen ſich.)
Prinzeſſin. Hier iſt mein Verſuch, ich
hab ihn Nachtgedanken uͤberſchrieben.
Leander (lieſt). Treflich! Geiſtreich! — Ach!
mir iſt, als hoͤr ich die mitternaͤchtliche Stunde
Zwoͤlfe ſchlagen. Wann haben Sie das geſchrieben?
Prinzeſſin. Geſtern Mittag, nach dem
Eſſen.
Leander. Schoͤn gedacht! Wahrlich ſchoͤn
gedacht! — Aber, mit gnaͤdigſter Erlaubniß: —
„Der Mond ſcheint betruͤbt in der Welt herein,“
— wenn Sie es nicht ungnaͤdig vermerken wollen,
ſo muß es heißen: in die Welt.
Prinzeſſin. Schon gut, ich will es mir
fuͤr die Zukunft merken. Es iſt einfaͤltig, daß ei-
nem das Dichten ſo ſchwer gemacht wird, man
kann keine Zeile ſchreiben, ohne einen Sprachfeh-
ler zu machen.
Leander. Das iſt der Eigenſinn unſrer
Sprache.
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