Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Der gestiefelte Kater. Prinzessin. Sind die Gefühle nicht zart und fein gehalten? Leander. Unbeschreiblich, o so, -- wie soll ich sagen? -- so zart und lieblich ausgezaselt, so fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thränenwei- den, und der goldene Mondenschein hinein wei- nend, und dann das murmelnde Gemurmel des murmelnden Gießbachs, -- man begreift kaum, wie ein sanfter weiblicher Geist den großen Ge- danken nicht hat unterliegen müssen, ohne sich vor dem Kirchhofe und den blaß verwaschenen Geistern der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entsetzen. Prinzessin. Jetzt will ich mich nun in die griechischen und antiken Versmaße werfen; ich möchte einmal die romantische Unbestimmtheit ver- lassen, und mich an der plastischen Natur versuchen. Leander. Sie kommen nothwendig immer weiter, Sie steigen immer höher. Prinzessin. Ich habe auch ein Stück an- gefangen: Der unglückliche Menschenhas- ser; oder: verlorne Ruhe und wiederer- worbne Unschuld. Leander. Schon der bloße Titel ist be- zaubernd. Prinzessin. Und dann fühle ich einen un- begreiflichen Drang in mir, irgend eine gräßliche Geistergeschichte zu schreiben. -- Wie gesagt, wenn nur die Sprachfehler nicht wären! Leander. Kehren Sie sich daran nicht, Un- vergleichliche, die lassen sich leicht herausstreichen. Der geſtiefelte Kater. Prinzeſſin. Sind die Gefuͤhle nicht zart und fein gehalten? Leander. Unbeſchreiblich, o ſo, — wie ſoll ich ſagen? — ſo zart und lieblich ausgezaſelt, ſo fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thraͤnenwei- den, und der goldene Mondenſchein hinein wei- nend, und dann das murmelnde Gemurmel des murmelnden Gießbachs, — man begreift kaum, wie ein ſanfter weiblicher Geiſt den großen Ge- danken nicht hat unterliegen muͤſſen, ohne ſich vor dem Kirchhofe und den blaß verwaſchenen Geiſtern der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entſetzen. Prinzeſſin. Jetzt will ich mich nun in die griechiſchen und antiken Versmaße werfen; ich moͤchte einmal die romantiſche Unbeſtimmtheit ver- laſſen, und mich an der plaſtiſchen Natur verſuchen. Leander. Sie kommen nothwendig immer weiter, Sie ſteigen immer hoͤher. Prinzeſſin. Ich habe auch ein Stuͤck an- gefangen: Der ungluͤckliche Menſchenhaſ- ſer; oder: verlorne Ruhe und wiederer- worbne Unſchuld. Leander. Schon der bloße Titel iſt be- zaubernd. Prinzeſſin. Und dann fuͤhle ich einen un- begreiflichen Drang in mir, irgend eine graͤßliche Geiſtergeſchichte zu ſchreiben. — Wie geſagt, wenn nur die Sprachfehler nicht waͤren! Leander. Kehren Sie ſich daran nicht, Un- vergleichliche, die laſſen ſich leicht herausſtreichen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0178" n="169"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der geſtiefelte Kater</hi>.</fw><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Sind die Gefuͤhle nicht zart<lb/> und fein gehalten?</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Unbeſchreiblich, o ſo, — wie ſoll<lb/> ich ſagen? — ſo zart und lieblich ausgezaſelt, ſo<lb/> fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thraͤnenwei-<lb/> den, und der goldene Mondenſchein hinein wei-<lb/> nend, und dann das murmelnde Gemurmel des<lb/> murmelnden Gießbachs, — man begreift kaum,<lb/> wie ein ſanfter weiblicher Geiſt den großen Ge-<lb/> danken nicht hat unterliegen muͤſſen, ohne ſich vor<lb/> dem Kirchhofe und den blaß verwaſchenen Geiſtern<lb/> der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entſetzen.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Jetzt will ich mich nun in<lb/> die griechiſchen und antiken Versmaße werfen; ich<lb/> moͤchte einmal die romantiſche Unbeſtimmtheit ver-<lb/> laſſen, und mich an der plaſtiſchen Natur verſuchen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Sie kommen nothwendig immer<lb/> weiter, Sie ſteigen immer hoͤher.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Ich habe auch ein Stuͤck an-<lb/> gefangen: <hi rendition="#g">Der ungluͤckliche Menſchenhaſ-<lb/> ſer</hi>; oder: <hi rendition="#g">verlorne Ruhe und wiederer-<lb/> worbne Unſchuld</hi>.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Schon der bloße Titel iſt be-<lb/> zaubernd.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRINZI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſin</hi>.</speaker> <p>Und dann fuͤhle ich einen un-<lb/> begreiflichen Drang in mir, irgend eine graͤßliche<lb/> Geiſtergeſchichte zu ſchreiben. — Wie geſagt, wenn<lb/> nur die Sprachfehler nicht waͤren!</p> </sp><lb/> <sp who="#LEANDER"> <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker> <p>Kehren Sie ſich daran nicht, Un-<lb/> vergleichliche, die laſſen ſich leicht herausſtreichen.</p><lb/> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0178]
Der geſtiefelte Kater.
Prinzeſſin. Sind die Gefuͤhle nicht zart
und fein gehalten?
Leander. Unbeſchreiblich, o ſo, — wie ſoll
ich ſagen? — ſo zart und lieblich ausgezaſelt, ſo
fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thraͤnenwei-
den, und der goldene Mondenſchein hinein wei-
nend, und dann das murmelnde Gemurmel des
murmelnden Gießbachs, — man begreift kaum,
wie ein ſanfter weiblicher Geiſt den großen Ge-
danken nicht hat unterliegen muͤſſen, ohne ſich vor
dem Kirchhofe und den blaß verwaſchenen Geiſtern
der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entſetzen.
Prinzeſſin. Jetzt will ich mich nun in
die griechiſchen und antiken Versmaße werfen; ich
moͤchte einmal die romantiſche Unbeſtimmtheit ver-
laſſen, und mich an der plaſtiſchen Natur verſuchen.
Leander. Sie kommen nothwendig immer
weiter, Sie ſteigen immer hoͤher.
Prinzeſſin. Ich habe auch ein Stuͤck an-
gefangen: Der ungluͤckliche Menſchenhaſ-
ſer; oder: verlorne Ruhe und wiederer-
worbne Unſchuld.
Leander. Schon der bloße Titel iſt be-
zaubernd.
Prinzeſſin. Und dann fuͤhle ich einen un-
begreiflichen Drang in mir, irgend eine graͤßliche
Geiſtergeſchichte zu ſchreiben. — Wie geſagt, wenn
nur die Sprachfehler nicht waͤren!
Leander. Kehren Sie ſich daran nicht, Un-
vergleichliche, die laſſen ſich leicht herausſtreichen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |