Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Die verkehrte Welt.
um eine solche Kleinigkeit schlachten und scheeren
und hudeln lassen. Dann seht nur zweitens, die
schönen Bärte um Kinn und Maul, nicht wahr,
jedermann muß Lust zum Scheeren bekommen, der
diesen reichen Seegen sieht? Welche Gedanken sollen
wohl die guten geduldigen Schaafe fassen, wenn sie
dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som-
mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln
sehn? Es wäre ihnen ja wahrlich nicht zu ver-
argen, wenn sie auf die Meinung geriethen, daß
alles Scheeren nur unnütze Scheererei wäre. Dann
werden diese Schäfer es auch drittens viel besser
nachher einsehn, was es auf sich habe, geschoren
zu werden, sie werden dadurch gegen die Schafe
mitleidiger und dankbarer werden. Ich will sie
bloß zur Tugend anführen.
Skaramuz. Du hast recht. Schäfer, Ihr
habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft
Euch dem Willen Eurer Untergebenen. (die Schäfer ab.)
-- Sie werden zum allgemeinen Besten geschoren,
die Spitzbuben, und wollen sich noch beklagen!
Grünhelm. Der Egoismus, Herr Apollo,
ist sehr schwer aus dem Menschen zu vertreiben.

(sie gehn ab.)



II. [ 22 ]
Die verkehrte Welt.
um eine ſolche Kleinigkeit ſchlachten und ſcheeren
und hudeln laſſen. Dann ſeht nur zweitens, die
ſchoͤnen Baͤrte um Kinn und Maul, nicht wahr,
jedermann muß Luſt zum Scheeren bekommen, der
dieſen reichen Seegen ſieht? Welche Gedanken ſollen
wohl die guten geduldigen Schaafe faſſen, wenn ſie
dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som-
mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln
ſehn? Es waͤre ihnen ja wahrlich nicht zu ver-
argen, wenn ſie auf die Meinung geriethen, daß
alles Scheeren nur unnuͤtze Scheererei waͤre. Dann
werden dieſe Schaͤfer es auch drittens viel beſſer
nachher einſehn, was es auf ſich habe, geſchoren
zu werden, ſie werden dadurch gegen die Schafe
mitleidiger und dankbarer werden. Ich will ſie
bloß zur Tugend anfuͤhren.
Skaramuz. Du haſt recht. Schaͤfer, Ihr
habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft
Euch dem Willen Eurer Untergebenen. (die Schaͤfer ab.)
— Sie werden zum allgemeinen Beſten geſchoren,
die Spitzbuben, und wollen ſich noch beklagen!
Gruͤnhelm. Der Egoismus, Herr Apollo,
iſt ſehr ſchwer aus dem Menſchen zu vertreiben.

(ſie gehn ab.)



II. [ 22 ]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#GRUENHELM">
                <p><pb facs="#f0346" n="337"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/>
um eine &#x017F;olche Kleinigkeit &#x017F;chlachten und &#x017F;cheeren<lb/>
und hudeln la&#x017F;&#x017F;en. Dann &#x017F;eht nur zweitens, die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Ba&#x0364;rte um Kinn und Maul, nicht wahr,<lb/>
jedermann muß Lu&#x017F;t zum Scheeren bekommen, der<lb/>
die&#x017F;en reichen Seegen &#x017F;ieht? Welche Gedanken &#x017F;ollen<lb/>
wohl die guten geduldigen Schaafe fa&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie<lb/>
dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som-<lb/>
mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln<lb/>
&#x017F;ehn? Es wa&#x0364;re ihnen ja wahrlich nicht zu ver-<lb/>
argen, wenn &#x017F;ie auf die Meinung geriethen, daß<lb/>
alles Scheeren nur unnu&#x0364;tze Scheererei wa&#x0364;re. Dann<lb/>
werden die&#x017F;e Scha&#x0364;fer es auch drittens viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
nachher ein&#x017F;ehn, was es auf &#x017F;ich habe, ge&#x017F;choren<lb/>
zu werden, &#x017F;ie werden dadurch gegen die Schafe<lb/>
mitleidiger und dankbarer werden. Ich will &#x017F;ie<lb/>
bloß zur Tugend anfu&#x0364;hren.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SKA">
                <speaker><hi rendition="#g">Skaramuz</hi>.</speaker>
                <p>Du ha&#x017F;t recht. Scha&#x0364;fer, Ihr<lb/>
habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft<lb/>
Euch dem Willen Eurer Untergebenen. <stage>(die Scha&#x0364;fer ab.)</stage><lb/>
&#x2014; Sie werden zum allgemeinen Be&#x017F;ten ge&#x017F;choren,<lb/>
die Spitzbuben, und wollen &#x017F;ich noch beklagen!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#GRUENHELM">
                <speaker><hi rendition="#g">Gru&#x0364;nhelm</hi>.</speaker>
                <p>Der Egoismus, Herr Apollo,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;chwer aus dem Men&#x017F;chen zu vertreiben.</p><lb/>
                <stage> <hi rendition="#et">(&#x017F;ie gehn ab.)</hi> </stage>
              </sp>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> [ 22 ]</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0346] Die verkehrte Welt. um eine ſolche Kleinigkeit ſchlachten und ſcheeren und hudeln laſſen. Dann ſeht nur zweitens, die ſchoͤnen Baͤrte um Kinn und Maul, nicht wahr, jedermann muß Luſt zum Scheeren bekommen, der dieſen reichen Seegen ſieht? Welche Gedanken ſollen wohl die guten geduldigen Schaafe faſſen, wenn ſie dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som- mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln ſehn? Es waͤre ihnen ja wahrlich nicht zu ver- argen, wenn ſie auf die Meinung geriethen, daß alles Scheeren nur unnuͤtze Scheererei waͤre. Dann werden dieſe Schaͤfer es auch drittens viel beſſer nachher einſehn, was es auf ſich habe, geſchoren zu werden, ſie werden dadurch gegen die Schafe mitleidiger und dankbarer werden. Ich will ſie bloß zur Tugend anfuͤhren. Skaramuz. Du haſt recht. Schaͤfer, Ihr habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft Euch dem Willen Eurer Untergebenen. (die Schaͤfer ab.) — Sie werden zum allgemeinen Beſten geſchoren, die Spitzbuben, und wollen ſich noch beklagen! Gruͤnhelm. Der Egoismus, Herr Apollo, iſt ſehr ſchwer aus dem Menſchen zu vertreiben. (ſie gehn ab.) II. [ 22 ]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/346
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/346>, abgerufen am 22.11.2024.