Darum findet man noch in Italien, sagte Ernst, für die Charakterrollen so unvergleichliche Schauspieler, ihr Wandern zwingt sie zu uner- müdeter Anstrengung, denn sie müssen allenthalben immer wieder neu seyn. In Mailand ist deshalb die Truppe des stehenden Theaters weit unin- teressanter. Von Trient bis Palermo gehn fast ununterbrochen die reisenden Schauspieler, welche sich zu verschiedenen Theater-Unternehmern be- geben, die sie meist nach wenigen Wochen wie- der verlassen.
Die bürgerliche und vornehme Würde, sagte Theodor, welche viele Schauspieler bei uns er- streben, entfernt sie auch von der Kunst. Mußte es früher niederschlagend seyn, mit zu großer Zurücksetzung zu kämpfen, so verschwendet der Schauspieler jetzt seine Zeit in faden Gesellschaf- ten, und verlernt es, sich als Künstler fühlen. Denn er soll von der Gesellschaft und ihrem Treiben abgesondert seyn, damit er im Enthu- siasmus für seine Kunst, in ihrer Ausübung, im Gefühl der Freude, welche er verbreitet, das Glück genieße, welchem die andern in der Wirk- lichkeit vergeblich nachjagen. Ein wahrer Kunst- freund muß ihm die Gesellschaft ersetzen können.
So wird es auch, fuhr Ernst fort, für die Kunst höchst unersprießlich, wenn Vornehme, oder regierende Herren das Theater und die Schauspieler zu sehr in ihren unmittelbaren Schutz nehmen. Allenthalben soll Anstand und
Zweite Abtheilung.
Darum findet man noch in Italien, ſagte Ernſt, fuͤr die Charakterrollen ſo unvergleichliche Schauſpieler, ihr Wandern zwingt ſie zu uner- muͤdeter Anſtrengung, denn ſie muͤſſen allenthalben immer wieder neu ſeyn. In Mailand iſt deshalb die Truppe des ſtehenden Theaters weit unin- tereſſanter. Von Trient bis Palermo gehn faſt ununterbrochen die reiſenden Schauſpieler, welche ſich zu verſchiedenen Theater-Unternehmern be- geben, die ſie meiſt nach wenigen Wochen wie- der verlaſſen.
Die buͤrgerliche und vornehme Wuͤrde, ſagte Theodor, welche viele Schauſpieler bei uns er- ſtreben, entfernt ſie auch von der Kunſt. Mußte es fruͤher niederſchlagend ſeyn, mit zu großer Zuruͤckſetzung zu kaͤmpfen, ſo verſchwendet der Schauſpieler jetzt ſeine Zeit in faden Geſellſchaf- ten, und verlernt es, ſich als Kuͤnſtler fuͤhlen. Denn er ſoll von der Geſellſchaft und ihrem Treiben abgeſondert ſeyn, damit er im Enthu- ſiasmus fuͤr ſeine Kunſt, in ihrer Ausuͤbung, im Gefuͤhl der Freude, welche er verbreitet, das Gluͤck genieße, welchem die andern in der Wirk- lichkeit vergeblich nachjagen. Ein wahrer Kunſt- freund muß ihm die Geſellſchaft erſetzen koͤnnen.
So wird es auch, fuhr Ernſt fort, fuͤr die Kunſt hoͤchſt unerſprießlich, wenn Vornehme, oder regierende Herren das Theater und die Schauſpieler zu ſehr in ihren unmittelbaren Schutz nehmen. Allenthalben ſoll Anſtand und
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Zweite Abtheilung.
Darum findet man noch in Italien, ſagte
Ernſt, fuͤr die Charakterrollen ſo unvergleichliche
Schauſpieler, ihr Wandern zwingt ſie zu uner-
muͤdeter Anſtrengung, denn ſie muͤſſen allenthalben
immer wieder neu ſeyn. In Mailand iſt deshalb
die Truppe des ſtehenden Theaters weit unin-
tereſſanter. Von Trient bis Palermo gehn faſt
ununterbrochen die reiſenden Schauſpieler, welche
ſich zu verſchiedenen Theater-Unternehmern be-
geben, die ſie meiſt nach wenigen Wochen wie-
der verlaſſen.
Die buͤrgerliche und vornehme Wuͤrde, ſagte
Theodor, welche viele Schauſpieler bei uns er-
ſtreben, entfernt ſie auch von der Kunſt. Mußte
es fruͤher niederſchlagend ſeyn, mit zu großer
Zuruͤckſetzung zu kaͤmpfen, ſo verſchwendet der
Schauſpieler jetzt ſeine Zeit in faden Geſellſchaf-
ten, und verlernt es, ſich als Kuͤnſtler fuͤhlen.
Denn er ſoll von der Geſellſchaft und ihrem
Treiben abgeſondert ſeyn, damit er im Enthu-
ſiasmus fuͤr ſeine Kunſt, in ihrer Ausuͤbung, im
Gefuͤhl der Freude, welche er verbreitet, das
Gluͤck genieße, welchem die andern in der Wirk-
lichkeit vergeblich nachjagen. Ein wahrer Kunſt-
freund muß ihm die Geſellſchaft erſetzen koͤnnen.
So wird es auch, fuhr Ernſt fort, fuͤr
die Kunſt hoͤchſt unerſprießlich, wenn Vornehme,
oder regierende Herren das Theater und die
Schauſpieler zu ſehr in ihren unmittelbaren
Schutz nehmen. Allenthalben ſoll Anſtand und
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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