cherheit sein Talent entwickeln, er braucht sein Organ nicht zu überschreien, seine Geberde nicht zu übertreiben. Unangenehm ist schon der bloße Eintritt in das große Theater zu Mailand oder in Berlin, die Schauspieler werden zu Pygmäen, die Gruppen auf der Bühne wollen sich noch weniger vereinigen, die dargestellten Zimmer ha- ben unförmliche Höhe, Breite und Tiefe und das Ganze verliert alle Haltung. Auch das größte Schauspielhaus wird an gewissen Tagen zu klein seyn; spiele man doch in kleineren Sä- len, man büßt zwar eine übertriebene Einnahme einzelner Vorstellungen ein, aber es sichert wie- derholte gute Einnahme von beliebten Stücken.
Es ist zu verwundern, sagte Lothar, daß Berlin, so viel ich weiß, die einzige große Stadt ist, die ihrem Theater noch jenes alte Monopel bewahrt, welches einer früheren Truppe zu einer Zeit verliehen wurde, als man kaum das kleinste Haus in der Woche einmal gefüllt sah. Dieses Monopol muß nicht nur einem großen Theil der Einwohner, die in der weitgedehnten Stadt ent- fernt wohnen, höchst unbequem fallen, sondern es muß auch den Schauspielern selbst ihre Kunst verkümmern, da kein Wetteifer mit andern Ta- lenten, wie in London, Wien und Paris statt finden kann. Abgerechnet, daß dieses Theater, als das einzige, oft seine Würde einbüßen muß, um Frazzen darzustellen, die man in Wien nur in der Leopoldstadt sieht. Das große Berlin
Zweite Abtheilung.
cherheit ſein Talent entwickeln, er braucht ſein Organ nicht zu uͤberſchreien, ſeine Geberde nicht zu uͤbertreiben. Unangenehm iſt ſchon der bloße Eintritt in das große Theater zu Mailand oder in Berlin, die Schauſpieler werden zu Pygmaͤen, die Gruppen auf der Buͤhne wollen ſich noch weniger vereinigen, die dargeſtellten Zimmer ha- ben unfoͤrmliche Hoͤhe, Breite und Tiefe und das Ganze verliert alle Haltung. Auch das groͤßte Schauſpielhaus wird an gewiſſen Tagen zu klein ſeyn; ſpiele man doch in kleineren Saͤ- len, man buͤßt zwar eine uͤbertriebene Einnahme einzelner Vorſtellungen ein, aber es ſichert wie- derholte gute Einnahme von beliebten Stuͤcken.
Es iſt zu verwundern, ſagte Lothar, daß Berlin, ſo viel ich weiß, die einzige große Stadt iſt, die ihrem Theater noch jenes alte Monopel bewahrt, welches einer fruͤheren Truppe zu einer Zeit verliehen wurde, als man kaum das kleinſte Haus in der Woche einmal gefuͤllt ſah. Dieſes Monopol muß nicht nur einem großen Theil der Einwohner, die in der weitgedehnten Stadt ent- fernt wohnen, hoͤchſt unbequem fallen, ſondern es muß auch den Schauſpielern ſelbſt ihre Kunſt verkuͤmmern, da kein Wetteifer mit andern Ta- lenten, wie in London, Wien und Paris ſtatt finden kann. Abgerechnet, daß dieſes Theater, als das einzige, oft ſeine Wuͤrde einbuͤßen muß, um Frazzen darzuſtellen, die man in Wien nur in der Leopoldſtadt ſieht. Das große Berlin
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Zweite Abtheilung.
cherheit ſein Talent entwickeln, er braucht ſein
Organ nicht zu uͤberſchreien, ſeine Geberde nicht
zu uͤbertreiben. Unangenehm iſt ſchon der bloße
Eintritt in das große Theater zu Mailand oder
in Berlin, die Schauſpieler werden zu Pygmaͤen,
die Gruppen auf der Buͤhne wollen ſich noch
weniger vereinigen, die dargeſtellten Zimmer ha-
ben unfoͤrmliche Hoͤhe, Breite und Tiefe und
das Ganze verliert alle Haltung. Auch das
groͤßte Schauſpielhaus wird an gewiſſen Tagen
zu klein ſeyn; ſpiele man doch in kleineren Saͤ-
len, man buͤßt zwar eine uͤbertriebene Einnahme
einzelner Vorſtellungen ein, aber es ſichert wie-
derholte gute Einnahme von beliebten Stuͤcken.
Es iſt zu verwundern, ſagte Lothar, daß
Berlin, ſo viel ich weiß, die einzige große Stadt
iſt, die ihrem Theater noch jenes alte Monopel
bewahrt, welches einer fruͤheren Truppe zu einer
Zeit verliehen wurde, als man kaum das kleinſte
Haus in der Woche einmal gefuͤllt ſah. Dieſes
Monopol muß nicht nur einem großen Theil der
Einwohner, die in der weitgedehnten Stadt ent-
fernt wohnen, hoͤchſt unbequem fallen, ſondern
es muß auch den Schauſpielern ſelbſt ihre Kunſt
verkuͤmmern, da kein Wetteifer mit andern Ta-
lenten, wie in London, Wien und Paris ſtatt
finden kann. Abgerechnet, daß dieſes Theater,
als das einzige, oft ſeine Wuͤrde einbuͤßen muß,
um Frazzen darzuſtellen, die man in Wien nur
in der Leopoldſtadt ſieht. Das große Berlin
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/436>, abgerufen am 22.11.2024.
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