Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Alfred kömmt herauf. Alfred. Guten Morgen, wo kommst Du her? Persiwein. Und Du? -- In meine Arme eile, Bester, Theuerster, seit einem langen Jahre nicht Gesehener. Alfred. Laß mich nur erst den merkwürdi- gen großen Pilz weglegen, so kann es geschehn. (sie umarmen sich) Sag mir nur, Phantast, warum sich zwei gute Bekannte umarmen müssen, wenn sie sich eine Zeitlang nicht gesehn haben. Und der Esel drückt, daß mir der eine Zahn wackelt, und die Ribben weh thun. Was solls nur? Kann man nicht vergnügt und sich herzlich gut seyn, ohne dies Händezerknüllen, Armeumeinanderschla- gen, Lippen pressen? Persiwein. Es ist doch das natürlichste von der Welt. Alfred. Hergebrachte Mode ist es, alte Ue- berlieferung von einem Geschlecht zum andern, kein natürlicher Mensch, kein denkender Kopf wird darauf verfallen, jeder macht es nach, weil man es ihm so gelehrt hat. Persiwein. Ich will mit Dir nicht strei- ten. Wo kömmst Du her? Wo gehst Du hin? Alfred. Ich reise jetzt durch diese Thäler und Wälder, um mich recht eigentlich über die Verwandschaften der Pilze aufzuklären: man wird erstaunen, wenn ich einmal erst alles heraus sage, welche Mißverständnisse, welche ungeheure Verwir- rung in diesem Zweige unserer Literatur herrscht, Zweite Abtheilung. Alfred koͤmmt herauf. Alfred. Guten Morgen, wo kommſt Du her? Perſiwein. Und Du? — In meine Arme eile, Beſter, Theuerſter, ſeit einem langen Jahre nicht Geſehener. Alfred. Laß mich nur erſt den merkwuͤrdi- gen großen Pilz weglegen, ſo kann es geſchehn. (ſie umarmen ſich) Sag mir nur, Phantaſt, warum ſich zwei gute Bekannte umarmen muͤſſen, wenn ſie ſich eine Zeitlang nicht geſehn haben. Und der Eſel druͤckt, daß mir der eine Zahn wackelt, und die Ribben weh thun. Was ſolls nur? Kann man nicht vergnuͤgt und ſich herzlich gut ſeyn, ohne dies Haͤndezerknuͤllen, Armeumeinanderſchla- gen, Lippen preſſen? Perſiwein. Es iſt doch das natuͤrlichſte von der Welt. Alfred. Hergebrachte Mode iſt es, alte Ue- berlieferung von einem Geſchlecht zum andern, kein natuͤrlicher Menſch, kein denkender Kopf wird darauf verfallen, jeder macht es nach, weil man es ihm ſo gelehrt hat. Perſiwein. Ich will mit Dir nicht ſtrei- ten. Wo koͤmmſt Du her? Wo gehſt Du hin? Alfred. Ich reiſe jetzt durch dieſe Thaͤler und Waͤlder, um mich recht eigentlich uͤber die Verwandſchaften der Pilze aufzuklaͤren: man wird erſtaunen, wenn ich einmal erſt alles heraus ſage, welche Mißverſtaͤndniſſe, welche ungeheure Verwir- rung in dieſem Zweige unſerer Literatur herrſcht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#PER"> <pb facs="#f0467" n="458"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Alfred</hi> koͤmmt herauf.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Guten Morgen, wo kommſt Du her?</p> </sp><lb/> <sp who="#PER"> <speaker><hi rendition="#g">Perſiwein</hi>.</speaker> <p>Und Du? — In meine Arme<lb/> eile, Beſter, Theuerſter, ſeit einem langen Jahre<lb/> nicht Geſehener.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Laß mich nur erſt den merkwuͤrdi-<lb/> gen großen Pilz weglegen, ſo kann es geſchehn.<lb/><stage>(ſie umarmen ſich)</stage> Sag mir nur, Phantaſt, warum<lb/> ſich zwei gute Bekannte umarmen muͤſſen, wenn<lb/> ſie ſich eine Zeitlang nicht geſehn haben. Und der<lb/> Eſel druͤckt, daß mir der eine Zahn wackelt, und<lb/> die Ribben weh thun. Was ſolls nur? Kann<lb/> man nicht vergnuͤgt und ſich herzlich gut ſeyn,<lb/> ohne dies Haͤndezerknuͤllen, Armeumeinanderſchla-<lb/> gen, Lippen preſſen?</p> </sp><lb/> <sp who="#PER"> <speaker><hi rendition="#g">Perſiwein</hi>.</speaker> <p>Es iſt doch das natuͤrlichſte von<lb/> der Welt.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Hergebrachte Mode iſt es, alte Ue-<lb/> berlieferung von einem Geſchlecht zum andern,<lb/> kein natuͤrlicher Menſch, kein denkender Kopf wird<lb/> darauf verfallen, jeder macht es nach, weil man<lb/> es ihm ſo gelehrt hat.</p> </sp><lb/> <sp who="#PER"> <speaker><hi rendition="#g">Perſiwein</hi>.</speaker> <p>Ich will mit Dir nicht ſtrei-<lb/> ten. Wo koͤmmſt Du her? Wo gehſt Du hin?</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Ich reiſe jetzt durch dieſe Thaͤler<lb/> und Waͤlder, um mich recht eigentlich uͤber die<lb/> Verwandſchaften der Pilze aufzuklaͤren: man wird<lb/> erſtaunen, wenn ich einmal erſt alles heraus ſage,<lb/> welche Mißverſtaͤndniſſe, welche ungeheure Verwir-<lb/> rung in dieſem Zweige unſerer Literatur herrſcht,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [458/0467]
Zweite Abtheilung.
Alfred koͤmmt herauf.
Alfred. Guten Morgen, wo kommſt Du her?
Perſiwein. Und Du? — In meine Arme
eile, Beſter, Theuerſter, ſeit einem langen Jahre
nicht Geſehener.
Alfred. Laß mich nur erſt den merkwuͤrdi-
gen großen Pilz weglegen, ſo kann es geſchehn.
(ſie umarmen ſich) Sag mir nur, Phantaſt, warum
ſich zwei gute Bekannte umarmen muͤſſen, wenn
ſie ſich eine Zeitlang nicht geſehn haben. Und der
Eſel druͤckt, daß mir der eine Zahn wackelt, und
die Ribben weh thun. Was ſolls nur? Kann
man nicht vergnuͤgt und ſich herzlich gut ſeyn,
ohne dies Haͤndezerknuͤllen, Armeumeinanderſchla-
gen, Lippen preſſen?
Perſiwein. Es iſt doch das natuͤrlichſte von
der Welt.
Alfred. Hergebrachte Mode iſt es, alte Ue-
berlieferung von einem Geſchlecht zum andern,
kein natuͤrlicher Menſch, kein denkender Kopf wird
darauf verfallen, jeder macht es nach, weil man
es ihm ſo gelehrt hat.
Perſiwein. Ich will mit Dir nicht ſtrei-
ten. Wo koͤmmſt Du her? Wo gehſt Du hin?
Alfred. Ich reiſe jetzt durch dieſe Thaͤler
und Waͤlder, um mich recht eigentlich uͤber die
Verwandſchaften der Pilze aufzuklaͤren: man wird
erſtaunen, wenn ich einmal erſt alles heraus ſage,
welche Mißverſtaͤndniſſe, welche ungeheure Verwir-
rung in dieſem Zweige unſerer Literatur herrſcht,
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/467>, abgerufen am 26.06.2024. |