Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Semmelziege. Manchmal erlahmt dem Wüthrich selbst die Kraft. Alfred. Läßt sich denken. Er macht sich wol hauptsächlich nach Tische die Motion? Semmelziege. Meist wenn beginnt des Tags Gestirn zu sinken Alfred. Nicht unvernünftig; heut ist es ja aber noch Morgen. Semmelziege. Den Wilden regt die Laune plötzlich an. Alfred. Natürlich, solch Volk hält in nichts Ordnung. Persiwein. Aber sage mir nur, wie Du in diese Gegend kommst: Du sollst Dich ja in der Residenz aufgehalten haben, verheirathet seyn; in der Geschichte ist mir noch Vieles dunkel. Semmelziege. Wie in der Brust von neuem tobt der alte Schmerz, Ob dieser Frage, die dem Mund' des Freunds entschlüpft! Ja, mein Gemahl war liebevoll und hold und schön, Vom Himmel fiel das freundlichste Geschick mir zu: Doch wie dem Mann von Göttern nie ein reines Glück, Das ungetrübt, stets gleichen Glanzes, wird ver- liehn, So war der Holden, trotz der Tugend, beigesellt, Was härmend Tag und Nacht das Herz mir ab- genagt. Alfred. Nun? Erzähle kurz und bündig. Zweite Abtheilung. Semmelziege. Manchmal erlahmt dem Wuͤthrich ſelbſt die Kraft. Alfred. Laͤßt ſich denken. Er macht ſich wol hauptſaͤchlich nach Tiſche die Motion? Semmelziege. Meiſt wenn beginnt des Tags Geſtirn zu ſinken Alfred. Nicht unvernuͤnftig; heut iſt es ja aber noch Morgen. Semmelziege. Den Wilden regt die Laune ploͤtzlich an. Alfred. Natuͤrlich, ſolch Volk haͤlt in nichts Ordnung. Perſiwein. Aber ſage mir nur, wie Du in dieſe Gegend kommſt: Du ſollſt Dich ja in der Reſidenz aufgehalten haben, verheirathet ſeyn; in der Geſchichte iſt mir noch Vieles dunkel. Semmelziege. Wie in der Bruſt von neuem tobt der alte Schmerz, Ob dieſer Frage, die dem Mund' des Freunds entſchluͤpft! Ja, mein Gemahl war liebevoll und hold und ſchoͤn, Vom Himmel fiel das freundlichſte Geſchick mir zu: Doch wie dem Mann von Goͤttern nie ein reines Gluͤck, Das ungetruͤbt, ſtets gleichen Glanzes, wird ver- liehn, So war der Holden, trotz der Tugend, beigeſellt, Was haͤrmend Tag und Nacht das Herz mir ab- genagt. Alfred. Nun? Erzaͤhle kurz und buͤndig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0475" n="466"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <sp who="#SEM"> <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/> <p>Manchmal erlahmt dem Wuͤthrich ſelbſt die Kraft.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Laͤßt ſich denken. Er macht ſich wol<lb/> hauptſaͤchlich nach Tiſche die Motion?</p> </sp><lb/> <sp who="#SEM"> <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/> <p>Meiſt wenn beginnt des Tags Geſtirn zu ſinken</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Nicht unvernuͤnftig; heut iſt es ja<lb/> aber noch Morgen.</p> </sp><lb/> <sp who="#SEM"> <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/> <p>Den Wilden regt die Laune ploͤtzlich an.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Natuͤrlich, ſolch Volk haͤlt in nichts<lb/> Ordnung.</p> </sp><lb/> <sp who="#PER"> <speaker><hi rendition="#g">Perſiwein</hi>.</speaker> <p>Aber ſage mir nur, wie Du<lb/> in dieſe Gegend kommſt: Du ſollſt Dich ja in der<lb/> Reſidenz aufgehalten haben, verheirathet ſeyn; in<lb/> der Geſchichte iſt mir noch Vieles dunkel.</p> </sp><lb/> <sp who="#SEM"> <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/> <p>Wie in der Bruſt von neuem tobt der alte Schmerz,<lb/> Ob dieſer Frage, die dem Mund' des Freunds<lb/><hi rendition="#et">entſchluͤpft!</hi><lb/> Ja, mein Gemahl war liebevoll und hold und<lb/><hi rendition="#et">ſchoͤn,</hi><lb/> Vom Himmel fiel das freundlichſte Geſchick mir zu:<lb/> Doch wie dem Mann von Goͤttern nie ein reines<lb/><hi rendition="#et">Gluͤck,</hi><lb/> Das ungetruͤbt, ſtets gleichen Glanzes, wird ver-<lb/><hi rendition="#et">liehn,</hi><lb/> So war der Holden, trotz der Tugend, beigeſellt,<lb/> Was haͤrmend Tag und Nacht das Herz mir ab-<lb/><hi rendition="#et">genagt.</hi></p> </sp><lb/> <sp who="#ALF"> <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker> <p>Nun? Erzaͤhle kurz und buͤndig.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [466/0475]
Zweite Abtheilung.
Semmelziege.
Manchmal erlahmt dem Wuͤthrich ſelbſt die Kraft.
Alfred. Laͤßt ſich denken. Er macht ſich wol
hauptſaͤchlich nach Tiſche die Motion?
Semmelziege.
Meiſt wenn beginnt des Tags Geſtirn zu ſinken
Alfred. Nicht unvernuͤnftig; heut iſt es ja
aber noch Morgen.
Semmelziege.
Den Wilden regt die Laune ploͤtzlich an.
Alfred. Natuͤrlich, ſolch Volk haͤlt in nichts
Ordnung.
Perſiwein. Aber ſage mir nur, wie Du
in dieſe Gegend kommſt: Du ſollſt Dich ja in der
Reſidenz aufgehalten haben, verheirathet ſeyn; in
der Geſchichte iſt mir noch Vieles dunkel.
Semmelziege.
Wie in der Bruſt von neuem tobt der alte Schmerz,
Ob dieſer Frage, die dem Mund' des Freunds
entſchluͤpft!
Ja, mein Gemahl war liebevoll und hold und
ſchoͤn,
Vom Himmel fiel das freundlichſte Geſchick mir zu:
Doch wie dem Mann von Goͤttern nie ein reines
Gluͤck,
Das ungetruͤbt, ſtets gleichen Glanzes, wird ver-
liehn,
So war der Holden, trotz der Tugend, beigeſellt,
Was haͤrmend Tag und Nacht das Herz mir ab-
genagt.
Alfred. Nun? Erzaͤhle kurz und buͤndig.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/475 |
Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/475>, abgerufen am 17.06.2024. |