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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Däumchen.
Semmelziege.
Des Hauses Sorge nahm zu sehr den Sinn
ihr ein,
Die Sauberkeit, das Porzellan, die Wäsche gar;
Wenn ich ihr wohl von meiner ewgen Liebe sprach,
Nahm sie der Bürste vielbehaartes Brett zur Hand,
Um meinem Rock die Fäden abzukehren still,
Zuweilen selbst, wenn aus dem Feld ich heimgekehrt,
Von Blumenschmelz und Frühlings-Pracht, die
Lipp' ertönt,
Holdselgen Wahns, daß nun ihr Aug' in Thränen
schwimmt,
Faßt sie den schwanken Baumessproß der Haselgert,
Ausstäubend mir des Tuches rückenhüllend Blau.
Doch hätt' ich gern geduldet alles, außer Eins,
Daß wo sie stand und wo sie ging, auswärts, im
Haus,
Auch im Concert, wenn Tongewirr die Schöpfung
schuf,
Begeistrungs-Drang in Jungfrau Art die Fahne
schwang,
Ja, lag als Sphinx, hoch Kunstgebild, ein hehres
Weib,
Saß schmerzvoll, mulier dolorosa, mit dem Mann,
Da zaspelnd, haspelnd, heftig rauschend, nim-
mer still,
Ellenbogen fliegend, schlagend Seiten und Geripp,
Sie immerdar den Strickstrumpf eifrig handgehabt.
Alfred. Und das war dir am Ende fatal?
Persiwein. Kurioser Kautz, vielleicht hat
sie Dir selbst Strümpfe gestrickt.

Daͤumchen.
Semmelziege.
Des Hauſes Sorge nahm zu ſehr den Sinn
ihr ein,
Die Sauberkeit, das Porzellan, die Waͤſche gar;
Wenn ich ihr wohl von meiner ewgen Liebe ſprach,
Nahm ſie der Buͤrſte vielbehaartes Brett zur Hand,
Um meinem Rock die Faͤden abzukehren ſtill,
Zuweilen ſelbſt, wenn aus dem Feld ich heimgekehrt,
Von Blumenſchmelz und Fruͤhlings-Pracht, die
Lipp' ertoͤnt,
Holdſelgen Wahns, daß nun ihr Aug' in Thraͤnen
ſchwimmt,
Faßt ſie den ſchwanken Baumesſproß der Haſelgert,
Ausſtaͤubend mir des Tuches ruͤckenhuͤllend Blau.
Doch haͤtt' ich gern geduldet alles, außer Eins,
Daß wo ſie ſtand und wo ſie ging, auswaͤrts, im
Haus,
Auch im Concert, wenn Tongewirr die Schoͤpfung
ſchuf,
Begeiſtrungs-Drang in Jungfrau Art die Fahne
ſchwang,
Ja, lag als Sphinx, hoch Kunſtgebild, ein hehres
Weib,
Saß ſchmerzvoll, mulier dolorosa, mit dem Mann,
Da zaspelnd, haspelnd, heftig rauſchend, nim-
mer ſtill,
Ellenbogen fliegend, ſchlagend Seiten und Geripp,
Sie immerdar den Strickſtrumpf eifrig handgehabt.
Alfred. Und das war dir am Ende fatal?
Perſiwein. Kurioſer Kautz, vielleicht hat
ſie Dir ſelbſt Struͤmpfe geſtrickt.

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[467/0476] Daͤumchen. Semmelziege. Des Hauſes Sorge nahm zu ſehr den Sinn ihr ein, Die Sauberkeit, das Porzellan, die Waͤſche gar; Wenn ich ihr wohl von meiner ewgen Liebe ſprach, Nahm ſie der Buͤrſte vielbehaartes Brett zur Hand, Um meinem Rock die Faͤden abzukehren ſtill, Zuweilen ſelbſt, wenn aus dem Feld ich heimgekehrt, Von Blumenſchmelz und Fruͤhlings-Pracht, die Lipp' ertoͤnt, Holdſelgen Wahns, daß nun ihr Aug' in Thraͤnen ſchwimmt, Faßt ſie den ſchwanken Baumesſproß der Haſelgert, Ausſtaͤubend mir des Tuches ruͤckenhuͤllend Blau. Doch haͤtt' ich gern geduldet alles, außer Eins, Daß wo ſie ſtand und wo ſie ging, auswaͤrts, im Haus, Auch im Concert, wenn Tongewirr die Schoͤpfung ſchuf, Begeiſtrungs-Drang in Jungfrau Art die Fahne ſchwang, Ja, lag als Sphinx, hoch Kunſtgebild, ein hehres Weib, Saß ſchmerzvoll, mulier dolorosa, mit dem Mann, Da zaspelnd, haspelnd, heftig rauſchend, nim- mer ſtill, Ellenbogen fliegend, ſchlagend Seiten und Geripp, Sie immerdar den Strickſtrumpf eifrig handgehabt. Alfred. Und das war dir am Ende fatal? Perſiwein. Kurioſer Kautz, vielleicht hat ſie Dir ſelbſt Struͤmpfe geſtrickt.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/476>, abgerufen am 22.11.2024.