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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der Blaubart.
Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der
Mensch sich jeden Schritt im Leben erschwert,
wenn er ihn recht genau überlegt. Am Ende ist
doch alles nur einfältig, wir mögen es auch an-
fangen, wie wir wollen, und Glück und Zufall
machen unsre Pläne nur gescheidt oder unbesonnen.
Anton. Bruder, solche Reden sind einem
Manne ganz unanständig.
Leopold. Ja, was ihr euch immer so un-
ter Mann denkt: ein altes, verjährtes Thier, das
über die Jugend weggekommen ist, wie über eine
Brücke, die zusammen fallen will, und das sich
nun herzlich freut, daß es ein sauer Gesicht ma-
chen darf und Rath ertheilen, sitzen und zuhören
wenn andre sprechen, und alles links und unrich-
tig finden. So ein Mann nach Eurer Vorstellung
darf sogar den Kater tadeln, daß er die Mäuse
nicht auf die rechte Art und nach seinem Sinne
fängt. Es wird mir immer seltsam zu Muthe,
wenn ich die Redensarten höre: er handelt wie
ein Mann, er ist das Muster eines Mannes; --
meistentheils sind es doch nur verdorbene ausge-
wachsene Knaben, die durch die Welt auf allen
Vieren kriechen, statt aufrecht zu gehn, und die
daher weit mehr Steine des Anstoßes finden, --
und dann rufen die Umherstehenden: Um Gottes-
willen! seht, wie viele Erfahrung der Mann hat!
Anton. Das wäre also nach deiner Meinung
auch das Bild von mir?
Leopold. Ach nein, du bist im Grunde ge-
Der Blaubart.
Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der
Menſch ſich jeden Schritt im Leben erſchwert,
wenn er ihn recht genau uͤberlegt. Am Ende iſt
doch alles nur einfaͤltig, wir moͤgen es auch an-
fangen, wie wir wollen, und Gluͤck und Zufall
machen unſre Plaͤne nur geſcheidt oder unbeſonnen.
Anton. Bruder, ſolche Reden ſind einem
Manne ganz unanſtaͤndig.
Leopold. Ja, was ihr euch immer ſo un-
ter Mann denkt: ein altes, verjaͤhrtes Thier, das
uͤber die Jugend weggekommen iſt, wie uͤber eine
Bruͤcke, die zuſammen fallen will, und das ſich
nun herzlich freut, daß es ein ſauer Geſicht ma-
chen darf und Rath ertheilen, ſitzen und zuhoͤren
wenn andre ſprechen, und alles links und unrich-
tig finden. So ein Mann nach Eurer Vorſtellung
darf ſogar den Kater tadeln, daß er die Maͤuſe
nicht auf die rechte Art und nach ſeinem Sinne
faͤngt. Es wird mir immer ſeltſam zu Muthe,
wenn ich die Redensarten hoͤre: er handelt wie
ein Mann, er iſt das Muſter eines Mannes; —
meiſtentheils ſind es doch nur verdorbene ausge-
wachſene Knaben, die durch die Welt auf allen
Vieren kriechen, ſtatt aufrecht zu gehn, und die
daher weit mehr Steine des Anſtoßes finden, —
und dann rufen die Umherſtehenden: Um Gottes-
willen! ſeht, wie viele Erfahrung der Mann hat!
Anton. Das waͤre alſo nach deiner Meinung
auch das Bild von mir?
Leopold. Ach nein, du biſt im Grunde ge-
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[41/0050] Der Blaubart. Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der Menſch ſich jeden Schritt im Leben erſchwert, wenn er ihn recht genau uͤberlegt. Am Ende iſt doch alles nur einfaͤltig, wir moͤgen es auch an- fangen, wie wir wollen, und Gluͤck und Zufall machen unſre Plaͤne nur geſcheidt oder unbeſonnen. Anton. Bruder, ſolche Reden ſind einem Manne ganz unanſtaͤndig. Leopold. Ja, was ihr euch immer ſo un- ter Mann denkt: ein altes, verjaͤhrtes Thier, das uͤber die Jugend weggekommen iſt, wie uͤber eine Bruͤcke, die zuſammen fallen will, und das ſich nun herzlich freut, daß es ein ſauer Geſicht ma- chen darf und Rath ertheilen, ſitzen und zuhoͤren wenn andre ſprechen, und alles links und unrich- tig finden. So ein Mann nach Eurer Vorſtellung darf ſogar den Kater tadeln, daß er die Maͤuſe nicht auf die rechte Art und nach ſeinem Sinne faͤngt. Es wird mir immer ſeltſam zu Muthe, wenn ich die Redensarten hoͤre: er handelt wie ein Mann, er iſt das Muſter eines Mannes; — meiſtentheils ſind es doch nur verdorbene ausge- wachſene Knaben, die durch die Welt auf allen Vieren kriechen, ſtatt aufrecht zu gehn, und die daher weit mehr Steine des Anſtoßes finden, — und dann rufen die Umherſtehenden: Um Gottes- willen! ſeht, wie viele Erfahrung der Mann hat! Anton. Das waͤre alſo nach deiner Meinung auch das Bild von mir? Leopold. Ach nein, du biſt im Grunde ge-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/50>, abgerufen am 21.11.2024.