schon aufgestanden, hat im Finstern herum getappt, und hier hörte ich ihn sprechen. Der Wein nimmt ihm alle Gedanken, und ich muß zittern, daß er in der Trunkenheit einmal mich oder den Hofrath ermordet. Es fehlt noch zu meinem Unglück, daß eine unsinnige Eifersucht sich seines Gehirnes be- meistert. Leidgast kommt zurück.
Leidgast.
Sie sind entflohn! entflohn! die Raserei Entzündet mir so Herz wie Eingeweide! O du verkehrter, unheilschwangrer Sinn! Das zu verschieben, was dir obliegt gleich; Dem Zaudernden entflieht Gelegenheit, Der Stirnhaar er mir Händen fassen konnte. So ist mir nun die süße Kost entgangen, Nach der mein Gaumen mir gewässert schon. Doch nun nicht länger trag ich Zögrungs-Schuld! He! Semmelziege! auf! he! Semmelziege!
Semmelziege kommt.
Leidgast.
Den Schlüssel nimm, thu auf den erznen Schrein; Die Stiefeln her, des Leders Zauberkraft! Mit ihnen mißt der Meilen sieben jeder Der Schritte; wie kann mir die Brut entgehn? Leg mir sie an, reich mir den Reisehut, Den langen Säbel wirf um meine Schulter, Den Stab nun noch vom jungen Eichenbaum!
Zweite Abtheilung.
ſchon aufgeſtanden, hat im Finſtern herum getappt, und hier hoͤrte ich ihn ſprechen. Der Wein nimmt ihm alle Gedanken, und ich muß zittern, daß er in der Trunkenheit einmal mich oder den Hofrath ermordet. Es fehlt noch zu meinem Ungluͤck, daß eine unſinnige Eiferſucht ſich ſeines Gehirnes be- meiſtert. Leidgaſt kommt zuruͤck.
Leidgaſt.
Sie ſind entflohn! entflohn! die Raſerei Entzuͤndet mir ſo Herz wie Eingeweide! O du verkehrter, unheilſchwangrer Sinn! Das zu verſchieben, was dir obliegt gleich; Dem Zaudernden entflieht Gelegenheit, Der Stirnhaar er mir Haͤnden faſſen konnte. So iſt mir nun die ſuͤße Koſt entgangen, Nach der mein Gaumen mir gewaͤſſert ſchon. Doch nun nicht laͤnger trag ich Zoͤgrungs-Schuld! He! Semmelziege! auf! he! Semmelziege!
Semmelziege kommt.
Leidgaſt.
Den Schluͤſſel nimm, thu auf den erznen Schrein; Die Stiefeln her, des Leders Zauberkraft! Mit ihnen mißt der Meilen ſieben jeder Der Schritte; wie kann mir die Brut entgehn? Leg mir ſie an, reich mir den Reiſehut, Den langen Saͤbel wirf um meine Schulter, Den Stab nun noch vom jungen Eichenbaum!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><spwho="#MAL"><p><pbfacs="#f0519"n="510"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>ſchon aufgeſtanden, hat im Finſtern herum getappt,<lb/>
und hier hoͤrte ich ihn ſprechen. Der Wein nimmt<lb/>
ihm alle Gedanken, und ich muß zittern, daß er<lb/>
in der Trunkenheit einmal mich oder den Hofrath<lb/>
ermordet. Es fehlt noch zu meinem Ungluͤck, daß<lb/>
eine unſinnige Eiferſucht ſich ſeines Gehirnes be-<lb/>
meiſtert.</p><lb/><stage><hirendition="#c"><hirendition="#g">Leidgaſt</hi> kommt zuruͤck.</hi></stage></sp><lb/><spwho="#LEI"><speaker><hirendition="#g">Leidgaſt</hi>.</speaker><lb/><lgtype="poem"><l>Sie ſind entflohn! entflohn! die Raſerei</l><lb/><l>Entzuͤndet mir ſo Herz wie Eingeweide!</l><lb/><l>O du verkehrter, unheilſchwangrer Sinn!</l><lb/><l>Das zu verſchieben, was dir obliegt gleich;</l><lb/><l>Dem Zaudernden entflieht Gelegenheit,</l><lb/><l>Der Stirnhaar er mir Haͤnden faſſen konnte.</l><lb/><l>So iſt mir nun die ſuͤße Koſt entgangen,</l><lb/><l>Nach der mein Gaumen mir gewaͤſſert ſchon.</l><lb/><l>Doch nun nicht laͤnger trag ich Zoͤgrungs-Schuld!</l><lb/><l>He! Semmelziege! auf! he! Semmelziege!</l></lg><lb/><stage><hirendition="#c"><hirendition="#g">Semmelziege</hi> kommt.</hi></stage></sp><lb/><spwho="#LEI"><speaker><hirendition="#g">Leidgaſt</hi>.</speaker><lb/><lgtype="poem"><l>Den Schluͤſſel nimm, thu auf den erznen Schrein;</l><lb/><l>Die Stiefeln her, des Leders Zauberkraft!</l><lb/><l>Mit ihnen mißt der Meilen ſieben jeder</l><lb/><l>Der Schritte; wie kann mir die Brut entgehn?</l><lb/><l>Leg mir ſie an, reich mir den Reiſehut,</l><lb/><l>Den langen Saͤbel wirf um meine Schulter,</l><lb/><l>Den Stab nun noch vom jungen Eichenbaum!</l></lg><lb/></sp></div></div></div></div></body></text></TEI>
[510/0519]
Zweite Abtheilung.
ſchon aufgeſtanden, hat im Finſtern herum getappt,
und hier hoͤrte ich ihn ſprechen. Der Wein nimmt
ihm alle Gedanken, und ich muß zittern, daß er
in der Trunkenheit einmal mich oder den Hofrath
ermordet. Es fehlt noch zu meinem Ungluͤck, daß
eine unſinnige Eiferſucht ſich ſeines Gehirnes be-
meiſtert.
Leidgaſt kommt zuruͤck.
Leidgaſt.
Sie ſind entflohn! entflohn! die Raſerei
Entzuͤndet mir ſo Herz wie Eingeweide!
O du verkehrter, unheilſchwangrer Sinn!
Das zu verſchieben, was dir obliegt gleich;
Dem Zaudernden entflieht Gelegenheit,
Der Stirnhaar er mir Haͤnden faſſen konnte.
So iſt mir nun die ſuͤße Koſt entgangen,
Nach der mein Gaumen mir gewaͤſſert ſchon.
Doch nun nicht laͤnger trag ich Zoͤgrungs-Schuld!
He! Semmelziege! auf! he! Semmelziege!
Semmelziege kommt.
Leidgaſt.
Den Schluͤſſel nimm, thu auf den erznen Schrein;
Die Stiefeln her, des Leders Zauberkraft!
Mit ihnen mißt der Meilen ſieben jeder
Der Schritte; wie kann mir die Brut entgehn?
Leg mir ſie an, reich mir den Reiſehut,
Den langen Saͤbel wirf um meine Schulter,
Den Stab nun noch vom jungen Eichenbaum!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/519>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.