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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
und er hat doch nur einen sehr engen Sinn, so
wie die meisten Menschen, sie wissen oft nicht,
warum sie etwas tadeln, es scheint ihnen bloß ver-
werflich, weil sie noch nicht darauf gekommen sind.
Anne. Ja wohl.
Simon. Und doch sollte das grade der Grund
seyn, eine solche Sache ihrer näheren Aufmerksam-
keit zu würdigen; denn wenn wir nichts Neues
zulernen wollen, so verschimmeln am Ende auch
die alten Kenntnisse in uns.
Agnes. Bruder Simon spricht heute mit
ungemeiner Weisheit.
Simon. Ihr versteht mich nur so selten;
dies scheint dir nur deswegen klug, weil du auch
schon etwas Aehnliches gedacht hast.
Agnes. Was ist denn aber am Ende der
menschliche Verstand?
Simon. Ja, das können wir mit unserm
eigenen Verstande nicht leicht begreifen; aber er
hat gewiß, wie eine Zwiebel, eine Menge von
Häuten; jede dieser Häute wird auch Verstand ge-
nannt, und der letzte, inwendige Kern ist der ei-
gentliche beste Verstand. Recht verständig sind nun
also die Menschen, die ihren zwiebelartigen Ver-
stand durch lange Uebung so abgerichtet haben, daß
sie jeden Gedanken, nicht nur mit den äußern Häu-
ten, sondern auch mit dem innern Kerne denken.
Bei den meisten Leuten aber, wenn sie auch die
Hände vor den Kopf halten, ist nur die oberste
Haut in einiger Bewegung, und sie wissen es gar
Zweite Abtheilung.
und er hat doch nur einen ſehr engen Sinn, ſo
wie die meiſten Menſchen, ſie wiſſen oft nicht,
warum ſie etwas tadeln, es ſcheint ihnen bloß ver-
werflich, weil ſie noch nicht darauf gekommen ſind.
Anne. Ja wohl.
Simon. Und doch ſollte das grade der Grund
ſeyn, eine ſolche Sache ihrer naͤheren Aufmerkſam-
keit zu wuͤrdigen; denn wenn wir nichts Neues
zulernen wollen, ſo verſchimmeln am Ende auch
die alten Kenntniſſe in uns.
Agnes. Bruder Simon ſpricht heute mit
ungemeiner Weisheit.
Simon. Ihr verſteht mich nur ſo ſelten;
dies ſcheint dir nur deswegen klug, weil du auch
ſchon etwas Aehnliches gedacht haſt.
Agnes. Was iſt denn aber am Ende der
menſchliche Verſtand?
Simon. Ja, das koͤnnen wir mit unſerm
eigenen Verſtande nicht leicht begreifen; aber er
hat gewiß, wie eine Zwiebel, eine Menge von
Haͤuten; jede dieſer Haͤute wird auch Verſtand ge-
nannt, und der letzte, inwendige Kern iſt der ei-
gentliche beſte Verſtand. Recht verſtaͤndig ſind nun
alſo die Menſchen, die ihren zwiebelartigen Ver-
ſtand durch lange Uebung ſo abgerichtet haben, daß
ſie jeden Gedanken, nicht nur mit den aͤußern Haͤu-
ten, ſondern auch mit dem innern Kerne denken.
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Haͤnde vor den Kopf halten, iſt nur die oberſte
Haut in einiger Bewegung, und ſie wiſſen es gar
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[44/0053] Zweite Abtheilung. und er hat doch nur einen ſehr engen Sinn, ſo wie die meiſten Menſchen, ſie wiſſen oft nicht, warum ſie etwas tadeln, es ſcheint ihnen bloß ver- werflich, weil ſie noch nicht darauf gekommen ſind. Anne. Ja wohl. Simon. Und doch ſollte das grade der Grund ſeyn, eine ſolche Sache ihrer naͤheren Aufmerkſam- keit zu wuͤrdigen; denn wenn wir nichts Neues zulernen wollen, ſo verſchimmeln am Ende auch die alten Kenntniſſe in uns. Agnes. Bruder Simon ſpricht heute mit ungemeiner Weisheit. Simon. Ihr verſteht mich nur ſo ſelten; dies ſcheint dir nur deswegen klug, weil du auch ſchon etwas Aehnliches gedacht haſt. Agnes. Was iſt denn aber am Ende der menſchliche Verſtand? Simon. Ja, das koͤnnen wir mit unſerm eigenen Verſtande nicht leicht begreifen; aber er hat gewiß, wie eine Zwiebel, eine Menge von Haͤuten; jede dieſer Haͤute wird auch Verſtand ge- nannt, und der letzte, inwendige Kern iſt der ei- gentliche beſte Verſtand. Recht verſtaͤndig ſind nun alſo die Menſchen, die ihren zwiebelartigen Ver- ſtand durch lange Uebung ſo abgerichtet haben, daß ſie jeden Gedanken, nicht nur mit den aͤußern Haͤu- ten, ſondern auch mit dem innern Kerne denken. Bei den meiſten Leuten aber, wenn ſie auch die Haͤnde vor den Kopf halten, iſt nur die oberſte Haut in einiger Bewegung, und ſie wiſſen es gar

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/53>, abgerufen am 21.11.2024.