Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Däumchen. Zog Kunde ein, ließ mir Archive öffnen,Und stieß auf Quellen, die noch Niemand kannte. Wahrmund. Das ist wahr, der Mann ist bei uns gewesen, er hat uns dazumahl auch ein Lied gesungen. Artus. So beginnt. Persiwein (singt.) Lauten Jammers, Thränen gießend Sitzt die Mutter da und schluchzt, Tritt der Gatte zu ihr, fragt sie: Theure, was stört deine Ruh? Ach, beginnt sie, seufzend, leise, Meinen Kummer kennst wohl du, Daß uns immer noch kein Kindlein Lächelt lieblich kosend zu. Und der Mann beginnt zu trösten, Aber sie klagt jede Stund. Endlich wird ein Sohn geboren, Laut verkündigt man es rund. Taufen will man nun das Kindlein, Aber fort ist jede Spur: Ists verloren, ists gestohlen? Trug es Katz weg oder Hund? Nein, es liegt in seinem Bettlein, Doch es ist so dünn und kurz, Daß kein Aug' es kann ersehen, Wenn man nicht mit Brillen sucht. Thoms wird er im Tauf benamset, Wie er älter, spricht er klug, Doch sie nennen ihn nur Däumchen, Weil er klein blieb, wenig wuchs. Daͤumchen. Zog Kunde ein, ließ mir Archive oͤffnen,Und ſtieß auf Quellen, die noch Niemand kannte. Wahrmund. Das iſt wahr, der Mann iſt bei uns geweſen, er hat uns dazumahl auch ein Lied geſungen. Artus. So beginnt. Perſiwein (ſingt.) Lauten Jammers, Thraͤnen gießend Sitzt die Mutter da und ſchluchzt, Tritt der Gatte zu ihr, fragt ſie: Theure, was ſtoͤrt deine Ruh? Ach, beginnt ſie, ſeufzend, leiſe, Meinen Kummer kennſt wohl du, Daß uns immer noch kein Kindlein Laͤchelt lieblich koſend zu. Und der Mann beginnt zu troͤſten, Aber ſie klagt jede Stund. Endlich wird ein Sohn geboren, Laut verkuͤndigt man es rund. Taufen will man nun das Kindlein, Aber fort iſt jede Spur: Iſts verloren, iſts geſtohlen? Trug es Katz weg oder Hund? Nein, es liegt in ſeinem Bettlein, Doch es iſt ſo duͤnn und kurz, Daß kein Aug' es kann erſehen, Wenn man nicht mit Brillen ſucht. Thoms wird er im Tauf benamſet, Wie er aͤlter, ſpricht er klug, Doch ſie nennen ihn nur Daͤumchen, Weil er klein blieb, wenig wuchs. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#PER"> <p><pb facs="#f0552" n="543"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Daͤumchen</hi>.</fw><lb/> Zog Kunde ein, ließ mir Archive oͤffnen,<lb/> Und ſtieß auf Quellen, die noch Niemand kannte.</p> </sp><lb/> <sp who="#WAH"> <speaker><hi rendition="#g">Wahrmund</hi>.</speaker> <p>Das iſt wahr, der Mann iſt<lb/> bei uns geweſen, er hat uns dazumahl auch ein<lb/> Lied geſungen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ART"> <speaker><hi rendition="#g">Artus</hi>.</speaker> <p>So beginnt.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Perſiwein</hi> (ſingt.)</hi> </stage><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Lauten Jammers, Thraͤnen gießend</l><lb/> <l>Sitzt die Mutter da und ſchluchzt,</l><lb/> <l>Tritt der Gatte zu ihr, fragt ſie:</l><lb/> <l>Theure, was ſtoͤrt deine Ruh?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ach, beginnt ſie, ſeufzend, leiſe,</l><lb/> <l>Meinen Kummer kennſt wohl du,</l><lb/> <l>Daß uns immer noch kein Kindlein</l><lb/> <l>Laͤchelt lieblich koſend zu.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Und der Mann beginnt zu troͤſten,</l><lb/> <l>Aber ſie klagt jede Stund.</l><lb/> <l>Endlich wird ein Sohn geboren,</l><lb/> <l>Laut verkuͤndigt man es rund.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Taufen will man nun das Kindlein,</l><lb/> <l>Aber fort iſt jede Spur:</l><lb/> <l>Iſts verloren, iſts geſtohlen?</l><lb/> <l>Trug es Katz weg oder Hund?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Nein, es liegt in ſeinem Bettlein,</l><lb/> <l>Doch es iſt ſo duͤnn und kurz,</l><lb/> <l>Daß kein Aug' es kann erſehen,</l><lb/> <l>Wenn man nicht mit Brillen ſucht.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Thoms wird er im Tauf benamſet,</l><lb/> <l>Wie er aͤlter, ſpricht er klug,</l><lb/> <l>Doch ſie nennen ihn nur Daͤumchen,</l><lb/> <l>Weil er klein blieb, wenig wuchs.</l> </lg><lb/> </lg> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [543/0552]
Daͤumchen.
Zog Kunde ein, ließ mir Archive oͤffnen,
Und ſtieß auf Quellen, die noch Niemand kannte.
Wahrmund. Das iſt wahr, der Mann iſt
bei uns geweſen, er hat uns dazumahl auch ein
Lied geſungen.
Artus. So beginnt.
Perſiwein (ſingt.)
Lauten Jammers, Thraͤnen gießend
Sitzt die Mutter da und ſchluchzt,
Tritt der Gatte zu ihr, fragt ſie:
Theure, was ſtoͤrt deine Ruh?
Ach, beginnt ſie, ſeufzend, leiſe,
Meinen Kummer kennſt wohl du,
Daß uns immer noch kein Kindlein
Laͤchelt lieblich koſend zu.
Und der Mann beginnt zu troͤſten,
Aber ſie klagt jede Stund.
Endlich wird ein Sohn geboren,
Laut verkuͤndigt man es rund.
Taufen will man nun das Kindlein,
Aber fort iſt jede Spur:
Iſts verloren, iſts geſtohlen?
Trug es Katz weg oder Hund?
Nein, es liegt in ſeinem Bettlein,
Doch es iſt ſo duͤnn und kurz,
Daß kein Aug' es kann erſehen,
Wenn man nicht mit Brillen ſucht.
Thoms wird er im Tauf benamſet,
Wie er aͤlter, ſpricht er klug,
Doch ſie nennen ihn nur Daͤumchen,
Weil er klein blieb, wenig wuchs.
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