Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
der Dichter sehr richtig sagt, es lassen sich Wun-
den und Scherze nicht so genau abmessen: was
die letzten Romanzen betrifft, so sind sie nur
Nachahmungen von Alt-Englischen; von Eng-
land mag auch dieses Kindermährchen wohl
nach Frankreich gekommen seyn, wo es Perrault
schon verwandelt fand und es noch mehr mo-
dernisirte, indem er jene tollen Uebertreibungen
ganz vertilgte. Ich erinnre mich, in Nieder-
sachsen Kinderlieder ähnlichen Inhalts gehört
zu haben, und wenn die Verbindung mit Artus
auch ganz willkührlich scheint, so mag der
Schwank selbst doch ziemlich alt sein. Der
Engländer aber so wie der Niederteutsche kennt
in seiner Fabel keinen Oger und keine Zauber-
stiefeln. Habe ich die übrige Gesellschaft eben-
falls beleidigt, so muß ihre freundliche Güte
mich entschuldigen.

Manfred sagte: will man einmal Scherz,
Albernheit und Tollheit genießen, so muß man
zu diesen Waaren auch kein zu zartes Gewissen
mitbringen; sollen ja doch eben die Gränzen um-
geworfen werden, die uns im gewöhnlichen Le-
ben mit Recht befangend umgeben.

Die Damen, vorzüglich Emilie, wollten Au-
gusten einigermaßen entschuldigen und es ent-
stand mit Manfred ein Streit darüber, was
schicklich oder unschicklich zu nennen sey, in wel-
chem Manfred immer heftiger und einseitiger,
so wie Emilie immer beschränkter wurde. Nie-
Zweite Abtheilung.
der Dichter ſehr richtig ſagt, es laſſen ſich Wun-
den und Scherze nicht ſo genau abmeſſen: was
die letzten Romanzen betrifft, ſo ſind ſie nur
Nachahmungen von Alt-Engliſchen; von Eng-
land mag auch dieſes Kindermaͤhrchen wohl
nach Frankreich gekommen ſeyn, wo es Perrault
ſchon verwandelt fand und es noch mehr mo-
derniſirte, indem er jene tollen Uebertreibungen
ganz vertilgte. Ich erinnre mich, in Nieder-
ſachſen Kinderlieder aͤhnlichen Inhalts gehoͤrt
zu haben, und wenn die Verbindung mit Artus
auch ganz willkuͤhrlich ſcheint, ſo mag der
Schwank ſelbſt doch ziemlich alt ſein. Der
Englaͤnder aber ſo wie der Niederteutſche kennt
in ſeiner Fabel keinen Oger und keine Zauber-
ſtiefeln. Habe ich die uͤbrige Geſellſchaft eben-
falls beleidigt, ſo muß ihre freundliche Guͤte
mich entſchuldigen.

Manfred ſagte: will man einmal Scherz,
Albernheit und Tollheit genießen, ſo muß man
zu dieſen Waaren auch kein zu zartes Gewiſſen
mitbringen; ſollen ja doch eben die Graͤnzen um-
geworfen werden, die uns im gewoͤhnlichen Le-
ben mit Recht befangend umgeben.

Die Damen, vorzuͤglich Emilie, wollten Au-
guſten einigermaßen entſchuldigen und es ent-
ſtand mit Manfred ein Streit daruͤber, was
ſchicklich oder unſchicklich zu nennen ſey, in wel-
chem Manfred immer heftiger und einſeitiger,
ſo wie Emilie immer beſchraͤnkter wurde. Nie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#ART">
                <p><pb facs="#f0560" n="551"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
der Dichter &#x017F;ehr richtig &#x017F;agt, es la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Wun-<lb/>
den und Scherze nicht &#x017F;o genau abme&#x017F;&#x017F;en: was<lb/>
die letzten Romanzen betrifft, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie nur<lb/>
Nachahmungen von Alt-Engli&#x017F;chen; von Eng-<lb/>
land mag auch die&#x017F;es Kinderma&#x0364;hrchen wohl<lb/>
nach Frankreich gekommen &#x017F;eyn, wo es Perrault<lb/>
&#x017F;chon verwandelt fand und es noch mehr mo-<lb/>
derni&#x017F;irte, indem er jene tollen Uebertreibungen<lb/>
ganz vertilgte. Ich erinnre mich, in Nieder-<lb/>
&#x017F;ach&#x017F;en Kinderlieder a&#x0364;hnlichen Inhalts geho&#x0364;rt<lb/>
zu haben, und wenn die Verbindung mit Artus<lb/>
auch ganz willku&#x0364;hrlich &#x017F;cheint, &#x017F;o mag der<lb/>
Schwank &#x017F;elb&#x017F;t doch ziemlich alt &#x017F;ein. Der<lb/>
Engla&#x0364;nder aber &#x017F;o wie der Niederteut&#x017F;che kennt<lb/>
in &#x017F;einer Fabel keinen Oger und keine Zauber-<lb/>
&#x017F;tiefeln. Habe ich die u&#x0364;brige Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eben-<lb/>
falls beleidigt, &#x017F;o muß ihre freundliche Gu&#x0364;te<lb/>
mich ent&#x017F;chuldigen.</p><lb/>
                <p>Manfred &#x017F;agte: will man einmal Scherz,<lb/>
Albernheit und Tollheit genießen, &#x017F;o muß man<lb/>
zu die&#x017F;en Waaren auch kein zu zartes Gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mitbringen; &#x017F;ollen ja doch eben die Gra&#x0364;nzen um-<lb/>
geworfen werden, die uns im gewo&#x0364;hnlichen Le-<lb/>
ben mit Recht befangend umgeben.</p><lb/>
                <p>Die Damen, vorzu&#x0364;glich Emilie, wollten Au-<lb/>
gu&#x017F;ten einigermaßen ent&#x017F;chuldigen und es ent-<lb/>
&#x017F;tand mit Manfred ein Streit daru&#x0364;ber, was<lb/>
&#x017F;chicklich oder un&#x017F;chicklich zu nennen &#x017F;ey, in wel-<lb/>
chem Manfred immer heftiger und ein&#x017F;eitiger,<lb/>
&#x017F;o wie Emilie immer be&#x017F;chra&#x0364;nkter wurde. Nie-<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[551/0560] Zweite Abtheilung. der Dichter ſehr richtig ſagt, es laſſen ſich Wun- den und Scherze nicht ſo genau abmeſſen: was die letzten Romanzen betrifft, ſo ſind ſie nur Nachahmungen von Alt-Engliſchen; von Eng- land mag auch dieſes Kindermaͤhrchen wohl nach Frankreich gekommen ſeyn, wo es Perrault ſchon verwandelt fand und es noch mehr mo- derniſirte, indem er jene tollen Uebertreibungen ganz vertilgte. Ich erinnre mich, in Nieder- ſachſen Kinderlieder aͤhnlichen Inhalts gehoͤrt zu haben, und wenn die Verbindung mit Artus auch ganz willkuͤhrlich ſcheint, ſo mag der Schwank ſelbſt doch ziemlich alt ſein. Der Englaͤnder aber ſo wie der Niederteutſche kennt in ſeiner Fabel keinen Oger und keine Zauber- ſtiefeln. Habe ich die uͤbrige Geſellſchaft eben- falls beleidigt, ſo muß ihre freundliche Guͤte mich entſchuldigen. Manfred ſagte: will man einmal Scherz, Albernheit und Tollheit genießen, ſo muß man zu dieſen Waaren auch kein zu zartes Gewiſſen mitbringen; ſollen ja doch eben die Graͤnzen um- geworfen werden, die uns im gewoͤhnlichen Le- ben mit Recht befangend umgeben. Die Damen, vorzuͤglich Emilie, wollten Au- guſten einigermaßen entſchuldigen und es ent- ſtand mit Manfred ein Streit daruͤber, was ſchicklich oder unſchicklich zu nennen ſey, in wel- chem Manfred immer heftiger und einſeitiger, ſo wie Emilie immer beſchraͤnkter wurde. Nie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/560
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/560>, abgerufen am 21.11.2024.