Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. mals, sagte Ernst endlich, wird sich in Regelnfestsetzen lassen, was erlaubt und nicht erlaubt sey, nur an gelungenen und mißlungenen Bei- spielen können wir unser Urtheil üben. Wenn manche Humoristen schon die letzte Gränze er- reicht zu haben scheinen, so entdeckt ein andrer Uebermuth vielleicht ein neues Gebiet, in wel- chem er durch die That die Rechtmäßigkeit sei- ner Eroberung beurkundet. Immer stellt diese Lust alles auf den Kopf, oder ergötzt sich an der thierischen Natur des Menschen; ist dies letzte nur nicht des Dichters Gemeinheit selbst, oder treibt ihn eine moralische Beängstigung, so kann wohl nach Umständen alles gewagt werden, doch ist es freilich eben so oft das letztere, was den feineren Sinnen, als das erste, was allen Gemüthern mißfallen muß. Nach geendigtem Mahl entfernten sich alle, und Clara und Rosalie blieben allein im Gar- tensaale zurück. Sie unterredeten sich in stiller Heimlichkeit von Adelheids baldiger Ankunft, welche sie in dreien Tagen erwarteten. Man- fred hatte es nicht unterlassen können, dieses seiner Gattin zu vertrauen, und Rosalie hatte in Claras Busen das Geheimniß, welches sie so sehr beschäftigte, niederlegen müssen. Friedrich war ihnen seitdem viel wichtiger und lieber ge- worden. Sie unterhielten sich von Adelheids Gestalt und Schönheit, wie ihre Einbildung sie ihnen mahlte, indem sie den Freund er- Zweite Abtheilung. mals, ſagte Ernſt endlich, wird ſich in Regelnfeſtſetzen laſſen, was erlaubt und nicht erlaubt ſey, nur an gelungenen und mißlungenen Bei- ſpielen koͤnnen wir unſer Urtheil uͤben. Wenn manche Humoriſten ſchon die letzte Graͤnze er- reicht zu haben ſcheinen, ſo entdeckt ein andrer Uebermuth vielleicht ein neues Gebiet, in wel- chem er durch die That die Rechtmaͤßigkeit ſei- ner Eroberung beurkundet. Immer ſtellt dieſe Luſt alles auf den Kopf, oder ergoͤtzt ſich an der thieriſchen Natur des Menſchen; iſt dies letzte nur nicht des Dichters Gemeinheit ſelbſt, oder treibt ihn eine moraliſche Beaͤngſtigung, ſo kann wohl nach Umſtaͤnden alles gewagt werden, doch iſt es freilich eben ſo oft das letztere, was den feineren Sinnen, als das erſte, was allen Gemuͤthern mißfallen muß. Nach geendigtem Mahl entfernten ſich alle, und Clara und Roſalie blieben allein im Gar- tenſaale zuruͤck. Sie unterredeten ſich in ſtiller Heimlichkeit von Adelheids baldiger Ankunft, welche ſie in dreien Tagen erwarteten. Man- fred hatte es nicht unterlaſſen koͤnnen, dieſes ſeiner Gattin zu vertrauen, und Roſalie hatte in Claras Buſen das Geheimniß, welches ſie ſo ſehr beſchaͤftigte, niederlegen muͤſſen. Friedrich war ihnen ſeitdem viel wichtiger und lieber ge- worden. Sie unterhielten ſich von Adelheids Geſtalt und Schoͤnheit, wie ihre Einbildung ſie ihnen mahlte, indem ſie den Freund er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#ART"> <p><pb facs="#f0561" n="552"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> mals, ſagte Ernſt endlich, wird ſich in Regeln<lb/> feſtſetzen laſſen, was erlaubt und nicht erlaubt<lb/> ſey, nur an gelungenen und mißlungenen Bei-<lb/> ſpielen koͤnnen wir unſer Urtheil uͤben. Wenn<lb/> manche Humoriſten ſchon die letzte Graͤnze er-<lb/> reicht zu haben ſcheinen, ſo entdeckt ein andrer<lb/> Uebermuth vielleicht ein neues Gebiet, in wel-<lb/> chem er durch die That die Rechtmaͤßigkeit ſei-<lb/> ner Eroberung beurkundet. Immer ſtellt dieſe<lb/> Luſt alles auf den Kopf, oder ergoͤtzt ſich an<lb/> der thieriſchen Natur des Menſchen; iſt dies<lb/> letzte nur nicht des Dichters Gemeinheit ſelbſt,<lb/> oder treibt ihn eine moraliſche Beaͤngſtigung, ſo<lb/> kann wohl nach Umſtaͤnden alles gewagt werden,<lb/> doch iſt es freilich eben ſo oft das letztere, was<lb/> den feineren Sinnen, als das erſte, was allen<lb/> Gemuͤthern mißfallen muß.</p><lb/> <p>Nach geendigtem Mahl entfernten ſich alle,<lb/> und Clara und Roſalie blieben allein im Gar-<lb/> tenſaale zuruͤck. Sie unterredeten ſich in ſtiller<lb/> Heimlichkeit von Adelheids baldiger Ankunft,<lb/> welche ſie in dreien Tagen erwarteten. Man-<lb/> fred hatte es nicht unterlaſſen koͤnnen, dieſes<lb/> ſeiner Gattin zu vertrauen, und Roſalie hatte<lb/> in Claras Buſen das Geheimniß, welches ſie ſo<lb/> ſehr beſchaͤftigte, niederlegen muͤſſen. Friedrich<lb/> war ihnen ſeitdem viel wichtiger und lieber ge-<lb/> worden. Sie unterhielten ſich von Adelheids<lb/> Geſtalt und Schoͤnheit, wie ihre Einbildung<lb/> ſie ihnen mahlte, indem ſie den Freund er-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [552/0561]
Zweite Abtheilung.
mals, ſagte Ernſt endlich, wird ſich in Regeln
feſtſetzen laſſen, was erlaubt und nicht erlaubt
ſey, nur an gelungenen und mißlungenen Bei-
ſpielen koͤnnen wir unſer Urtheil uͤben. Wenn
manche Humoriſten ſchon die letzte Graͤnze er-
reicht zu haben ſcheinen, ſo entdeckt ein andrer
Uebermuth vielleicht ein neues Gebiet, in wel-
chem er durch die That die Rechtmaͤßigkeit ſei-
ner Eroberung beurkundet. Immer ſtellt dieſe
Luſt alles auf den Kopf, oder ergoͤtzt ſich an
der thieriſchen Natur des Menſchen; iſt dies
letzte nur nicht des Dichters Gemeinheit ſelbſt,
oder treibt ihn eine moraliſche Beaͤngſtigung, ſo
kann wohl nach Umſtaͤnden alles gewagt werden,
doch iſt es freilich eben ſo oft das letztere, was
den feineren Sinnen, als das erſte, was allen
Gemuͤthern mißfallen muß.
Nach geendigtem Mahl entfernten ſich alle,
und Clara und Roſalie blieben allein im Gar-
tenſaale zuruͤck. Sie unterredeten ſich in ſtiller
Heimlichkeit von Adelheids baldiger Ankunft,
welche ſie in dreien Tagen erwarteten. Man-
fred hatte es nicht unterlaſſen koͤnnen, dieſes
ſeiner Gattin zu vertrauen, und Roſalie hatte
in Claras Buſen das Geheimniß, welches ſie ſo
ſehr beſchaͤftigte, niederlegen muͤſſen. Friedrich
war ihnen ſeitdem viel wichtiger und lieber ge-
worden. Sie unterhielten ſich von Adelheids
Geſtalt und Schoͤnheit, wie ihre Einbildung
ſie ihnen mahlte, indem ſie den Freund er-
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