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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
süße Reden nicht zu Gebot; ich kann nur sagen:
ich liebe! und damit ist meine ganze Redekunst zu
Ende. Aber man sollte auf die Worte solcher
Leute, die nicht viel zu sprechen verstehn, mehr
achten, als auf die Reden derjenigen, welche täg-
lich mit schöngewandten Phrasen handeln und be-
trügen. Wenn ich mich nicht zierlich auszudrücken
weiß, so bin ich doch wenigstens in der Kunst der
Lügen unerfahren, und das ist nach meiner Mei-
nung schon immer einiges Verdienst. Darum
müßt Ihr mir auf mein Wort glauben, wenn ich
Euch sage, daß ich Euch recht von Herzen liebe.
Agnes. Und wenn ich Euch glaube?
Hugo. Seltsame Frage! dann müßt Ihr
mich von Herzen wieder lieben. -- Oder, ist Euch
vielleicht, -- wie soll ich mich ausdrücken? --
meine Gestalt, mein Wesen nicht angenehm genug,
oder vielmehr widerwärtig? Es ist wahr, ich kann
etwas Seltsames an mir haben, das den Leuten
auffällt, ehe sie mich näher kennen, aber das sollte
doch nicht die Ursach seyn, einen Mann zu ver-
stoßen, der es sonst redlich meint. Ihr werdet
zugeben, daß Redlichkeit mehr werth ist, als eine
schöne Außenseite. Wenn ich also auch, wie die
Leute von mir sagen wollen, einen bläulichen, oder
blauen Bart habe, so ist das doch immer noch
besser, als wenn ich ganz ohne Bart auf die Freye-
rei ginge.
Anton. Nun, Schwester!
Hugo. Ihr glaubt vielleicht -- das ist aber
ein menschenfeindlicher Aberglaube -- ich müsse des-
Zweite Abtheilung.
ſuͤße Reden nicht zu Gebot; ich kann nur ſagen:
ich liebe! und damit iſt meine ganze Redekunſt zu
Ende. Aber man ſollte auf die Worte ſolcher
Leute, die nicht viel zu ſprechen verſtehn, mehr
achten, als auf die Reden derjenigen, welche taͤg-
lich mit ſchoͤngewandten Phraſen handeln und be-
truͤgen. Wenn ich mich nicht zierlich auszudruͤcken
weiß, ſo bin ich doch wenigſtens in der Kunſt der
Luͤgen unerfahren, und das iſt nach meiner Mei-
nung ſchon immer einiges Verdienſt. Darum
muͤßt Ihr mir auf mein Wort glauben, wenn ich
Euch ſage, daß ich Euch recht von Herzen liebe.
Agnes. Und wenn ich Euch glaube?
Hugo. Seltſame Frage! dann muͤßt Ihr
mich von Herzen wieder lieben. — Oder, iſt Euch
vielleicht, — wie ſoll ich mich ausdruͤcken? —
meine Geſtalt, mein Weſen nicht angenehm genug,
oder vielmehr widerwaͤrtig? Es iſt wahr, ich kann
etwas Seltſames an mir haben, das den Leuten
auffaͤllt, ehe ſie mich naͤher kennen, aber das ſollte
doch nicht die Urſach ſeyn, einen Mann zu ver-
ſtoßen, der es ſonſt redlich meint. Ihr werdet
zugeben, daß Redlichkeit mehr werth iſt, als eine
ſchoͤne Außenſeite. Wenn ich alſo auch, wie die
Leute von mir ſagen wollen, einen blaͤulichen, oder
blauen Bart habe, ſo iſt das doch immer noch
beſſer, als wenn ich ganz ohne Bart auf die Freye-
rei ginge.
Anton. Nun, Schweſter!
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ein menſchenfeindlicher Aberglaube — ich muͤſſe des-
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[54/0063] Zweite Abtheilung. ſuͤße Reden nicht zu Gebot; ich kann nur ſagen: ich liebe! und damit iſt meine ganze Redekunſt zu Ende. Aber man ſollte auf die Worte ſolcher Leute, die nicht viel zu ſprechen verſtehn, mehr achten, als auf die Reden derjenigen, welche taͤg- lich mit ſchoͤngewandten Phraſen handeln und be- truͤgen. Wenn ich mich nicht zierlich auszudruͤcken weiß, ſo bin ich doch wenigſtens in der Kunſt der Luͤgen unerfahren, und das iſt nach meiner Mei- nung ſchon immer einiges Verdienſt. Darum muͤßt Ihr mir auf mein Wort glauben, wenn ich Euch ſage, daß ich Euch recht von Herzen liebe. Agnes. Und wenn ich Euch glaube? Hugo. Seltſame Frage! dann muͤßt Ihr mich von Herzen wieder lieben. — Oder, iſt Euch vielleicht, — wie ſoll ich mich ausdruͤcken? — meine Geſtalt, mein Weſen nicht angenehm genug, oder vielmehr widerwaͤrtig? Es iſt wahr, ich kann etwas Seltſames an mir haben, das den Leuten auffaͤllt, ehe ſie mich naͤher kennen, aber das ſollte doch nicht die Urſach ſeyn, einen Mann zu ver- ſtoßen, der es ſonſt redlich meint. Ihr werdet zugeben, daß Redlichkeit mehr werth iſt, als eine ſchoͤne Außenſeite. Wenn ich alſo auch, wie die Leute von mir ſagen wollen, einen blaͤulichen, oder blauen Bart habe, ſo iſt das doch immer noch beſſer, als wenn ich ganz ohne Bart auf die Freye- rei ginge. Anton. Nun, Schweſter! Hugo. Ihr glaubt vielleicht — das iſt aber ein menſchenfeindlicher Aberglaube — ich muͤſſe des-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/63>, abgerufen am 21.11.2024.