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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Fortunat.
Ich sah noch keine Schönheit, schwört, ihr Augen,
Daß ihr erst heut zu sehen habt gelernt.
Adelheid.
Man hört, Herr Graf, daß ihr an Höfen
wart,
Die Schmeichelei ist Eurem Mund geläufig.
Fortunat.
Dann würd' ich übertreiben, Falschheit reden;
Nie wünscht ich noch mir das Talent des Dichters,
In schönes Wort zu kleiden, was ich fühlte,
Als jetzt, um würdig in Gesang zu sprechen,
Wie diese Gegenwart mich hoch entzückt.
Cephise.
Doch meinen viele, daß des Dichters Rausch
Nur schöner Wahnsinn sey, der bald erlischt,
Und dem genes'nen Auge, das ernüchtert,
Nur Reue schafft und tiefes Mißbehagen,
Nicht jener zu gedenken, die aus Vorsatz
Die Unwahrheit in Liebesworte kleiden,
Drum müssen Fraun mit Argwohn Reime hören.
Fortunat.
Zum erstenmal hör' ich von jungen Lippen
Vom schönsten Mund des Mißtrauns Lehre
predgen,
Ihr werdet, Reizende, nicht Schüler ziehn,
Wohl aber hoch begeisterte Poeten.
Eu'r Lächeln, liebliche Cassandra, sagt,
Daß Ihr des Unbeholfnen Reden spottet.
Cassandra.
Mit nichten, mein Herr Graf, geziemte Spott
So unerfahrner, blöder Jugend wohl?
Fortunat.
Ich ſah noch keine Schoͤnheit, ſchwoͤrt, ihr Augen,
Daß ihr erſt heut zu ſehen habt gelernt.
Adelheid.
Man hoͤrt, Herr Graf, daß ihr an Hoͤfen
wart,
Die Schmeichelei iſt Eurem Mund gelaͤufig.
Fortunat.
Dann wuͤrd' ich uͤbertreiben, Falſchheit reden;
Nie wuͤnſcht ich noch mir das Talent des Dichters,
In ſchoͤnes Wort zu kleiden, was ich fuͤhlte,
Als jetzt, um wuͤrdig in Geſang zu ſprechen,
Wie dieſe Gegenwart mich hoch entzuͤckt.
Cephiſe.
Doch meinen viele, daß des Dichters Rauſch
Nur ſchoͤner Wahnſinn ſey, der bald erliſcht,
Und dem geneſ'nen Auge, das ernuͤchtert,
Nur Reue ſchafft und tiefes Mißbehagen,
Nicht jener zu gedenken, die aus Vorſatz
Die Unwahrheit in Liebesworte kleiden,
Drum muͤſſen Fraun mit Argwohn Reime hoͤren.
Fortunat.
Zum erſtenmal hoͤr' ich von jungen Lippen
Vom ſchoͤnſten Mund des Mißtrauns Lehre
predgen,
Ihr werdet, Reizende, nicht Schuͤler ziehn,
Wohl aber hoch begeiſterte Poeten.
Eu'r Laͤcheln, liebliche Caſſandra, ſagt,
Daß Ihr des Unbeholfnen Reden ſpottet.
Caſſandra.
Mit nichten, mein Herr Graf, geziemte Spott
So unerfahrner, bloͤder Jugend wohl?
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[205/0215] Fortunat. Ich ſah noch keine Schoͤnheit, ſchwoͤrt, ihr Augen, Daß ihr erſt heut zu ſehen habt gelernt. Adelheid. Man hoͤrt, Herr Graf, daß ihr an Hoͤfen wart, Die Schmeichelei iſt Eurem Mund gelaͤufig. Fortunat. Dann wuͤrd' ich uͤbertreiben, Falſchheit reden; Nie wuͤnſcht ich noch mir das Talent des Dichters, In ſchoͤnes Wort zu kleiden, was ich fuͤhlte, Als jetzt, um wuͤrdig in Geſang zu ſprechen, Wie dieſe Gegenwart mich hoch entzuͤckt. Cephiſe. Doch meinen viele, daß des Dichters Rauſch Nur ſchoͤner Wahnſinn ſey, der bald erliſcht, Und dem geneſ'nen Auge, das ernuͤchtert, Nur Reue ſchafft und tiefes Mißbehagen, Nicht jener zu gedenken, die aus Vorſatz Die Unwahrheit in Liebesworte kleiden, Drum muͤſſen Fraun mit Argwohn Reime hoͤren. Fortunat. Zum erſtenmal hoͤr' ich von jungen Lippen Vom ſchoͤnſten Mund des Mißtrauns Lehre predgen, Ihr werdet, Reizende, nicht Schuͤler ziehn, Wohl aber hoch begeiſterte Poeten. Eu'r Laͤcheln, liebliche Caſſandra, ſagt, Daß Ihr des Unbeholfnen Reden ſpottet. Caſſandra. Mit nichten, mein Herr Graf, geziemte Spott So unerfahrner, bloͤder Jugend wohl?

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/215>, abgerufen am 21.11.2024.