Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. Ach! daß aus diesem Haus' ich bin entsprossen,Daß nicht die stille Schäferhütte mich, Ein frommer Schäfer einsam groß gezogen. Andalosia. O laß den Kuß auf zarte Wangen drücken Und sagen, daß die Lieb' in alten Zeiten Wie in den Tagen jezt, die Stände gleich, Das Hohe niedrig, Niedres hoch gemacht. Agrippina. Könnt' ich mit dir in weite Welt entfliehen, Den König, meinen alten Vater tödten? Auch selbst auf fernen Inseln würd' uns dann Der mächt'ge Arm erreichen und bestrafen. Andalosia. Ist es denn nur der priesterliche Seegen, Weltlicher Vortheil oder Eigennutz, Der Stammbaum und des Aberglaubens Satzung Was liebetrunkne Herzen darf vereinen? Agrippina. Versteh' ich dich? Willst du die innige Liebe, Die ich zu dir in meinem Herzen trage, So ganz verblenden, daß in Labyrinthe Erst zauberreich dann grauenvoll ich irre? Andalosia. Sagt uns nicht manche alte Liebessage Von edlen Herzen, die sich so gefunden? Wie wurde Isot Tristan denn verbunden? Ein schön Geheimniß hüllte wunderbar Wie Dämmerlauben ein die Liebenden, Und süßte ihnen zaubrisch den Genuß. Agrippina. O böser, böser, hinterlistger Mann, Was thät ich nicht um dich, wenn du mich bätest? Zweite Abtheilung. Ach! daß aus dieſem Hauſ' ich bin entſproſſen,Daß nicht die ſtille Schaͤferhuͤtte mich, Ein frommer Schaͤfer einſam groß gezogen. Andaloſia. O laß den Kuß auf zarte Wangen druͤcken Und ſagen, daß die Lieb' in alten Zeiten Wie in den Tagen jezt, die Staͤnde gleich, Das Hohe niedrig, Niedres hoch gemacht. Agrippina. Koͤnnt' ich mit dir in weite Welt entfliehen, Den Koͤnig, meinen alten Vater toͤdten? Auch ſelbſt auf fernen Inſeln wuͤrd' uns dann Der maͤcht'ge Arm erreichen und beſtrafen. Andaloſia. Iſt es denn nur der prieſterliche Seegen, Weltlicher Vortheil oder Eigennutz, Der Stammbaum und des Aberglaubens Satzung Was liebetrunkne Herzen darf vereinen? Agrippina. Verſteh' ich dich? Willſt du die innige Liebe, Die ich zu dir in meinem Herzen trage, So ganz verblenden, daß in Labyrinthe Erſt zauberreich dann grauenvoll ich irre? Andaloſia. Sagt uns nicht manche alte Liebesſage Von edlen Herzen, die ſich ſo gefunden? Wie wurde Iſot Triſtan denn verbunden? Ein ſchoͤn Geheimniß huͤllte wunderbar Wie Daͤmmerlauben ein die Liebenden, Und ſuͤßte ihnen zaubriſch den Genuß. Agrippina. O boͤſer, boͤſer, hinterliſtger Mann, Was thaͤt ich nicht um dich, wenn du mich baͤteſt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#Agrippina"> <p><pb facs="#f0318" n="308"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Ach! daß aus dieſem Hauſ' ich bin entſproſſen,<lb/> Daß nicht die ſtille Schaͤferhuͤtte mich,<lb/> Ein frommer Schaͤfer einſam groß gezogen.</p> </sp><lb/> <sp who="#Andaloſia"> <speaker><hi rendition="#g">Andaloſia</hi>.</speaker><lb/> <p>O laß den Kuß auf zarte Wangen druͤcken<lb/> Und ſagen, daß die Lieb' in alten Zeiten<lb/> Wie in den Tagen jezt, die Staͤnde gleich,<lb/> Das Hohe niedrig, Niedres hoch gemacht.</p> </sp><lb/> <sp who="#Agrippina"> <speaker><hi rendition="#g">Agrippina</hi>.</speaker><lb/> <p>Koͤnnt' ich mit dir in weite Welt entfliehen,<lb/> Den Koͤnig, meinen alten Vater toͤdten?<lb/> Auch ſelbſt auf fernen Inſeln wuͤrd' uns dann<lb/> Der maͤcht'ge Arm erreichen und beſtrafen.</p> </sp><lb/> <sp who="#Andaloſia"> <speaker><hi rendition="#g">Andaloſia</hi>.</speaker><lb/> <p>Iſt es denn nur der prieſterliche Seegen,<lb/> Weltlicher Vortheil oder Eigennutz,<lb/> Der Stammbaum und des Aberglaubens Satzung<lb/> Was liebetrunkne Herzen darf vereinen?</p> </sp><lb/> <sp who="#Agrippina"> <speaker><hi rendition="#g">Agrippina</hi>.</speaker><lb/> <p>Verſteh' ich dich? Willſt du die innige Liebe,<lb/> Die ich zu dir in meinem Herzen trage,<lb/> So ganz verblenden, daß in Labyrinthe<lb/> Erſt zauberreich dann grauenvoll ich irre?</p> </sp><lb/> <sp who="#Andaloſia"> <speaker><hi rendition="#g">Andaloſia</hi>.</speaker><lb/> <p>Sagt uns nicht manche alte Liebesſage<lb/> Von edlen Herzen, die ſich ſo gefunden?<lb/> Wie wurde Iſot Triſtan denn verbunden?<lb/> Ein ſchoͤn Geheimniß huͤllte wunderbar<lb/> Wie Daͤmmerlauben ein die Liebenden,<lb/> Und ſuͤßte ihnen zaubriſch den Genuß.</p> </sp><lb/> <sp who="#Agrippina"> <speaker><hi rendition="#g">Agrippina</hi>.</speaker><lb/> <p>O boͤſer, boͤſer, hinterliſtger Mann,<lb/> Was thaͤt ich nicht um dich, wenn du mich baͤteſt?<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [308/0318]
Zweite Abtheilung.
Ach! daß aus dieſem Hauſ' ich bin entſproſſen,
Daß nicht die ſtille Schaͤferhuͤtte mich,
Ein frommer Schaͤfer einſam groß gezogen.
Andaloſia.
O laß den Kuß auf zarte Wangen druͤcken
Und ſagen, daß die Lieb' in alten Zeiten
Wie in den Tagen jezt, die Staͤnde gleich,
Das Hohe niedrig, Niedres hoch gemacht.
Agrippina.
Koͤnnt' ich mit dir in weite Welt entfliehen,
Den Koͤnig, meinen alten Vater toͤdten?
Auch ſelbſt auf fernen Inſeln wuͤrd' uns dann
Der maͤcht'ge Arm erreichen und beſtrafen.
Andaloſia.
Iſt es denn nur der prieſterliche Seegen,
Weltlicher Vortheil oder Eigennutz,
Der Stammbaum und des Aberglaubens Satzung
Was liebetrunkne Herzen darf vereinen?
Agrippina.
Verſteh' ich dich? Willſt du die innige Liebe,
Die ich zu dir in meinem Herzen trage,
So ganz verblenden, daß in Labyrinthe
Erſt zauberreich dann grauenvoll ich irre?
Andaloſia.
Sagt uns nicht manche alte Liebesſage
Von edlen Herzen, die ſich ſo gefunden?
Wie wurde Iſot Triſtan denn verbunden?
Ein ſchoͤn Geheimniß huͤllte wunderbar
Wie Daͤmmerlauben ein die Liebenden,
Und ſuͤßte ihnen zaubriſch den Genuß.
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