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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Zweite Abtheilung.

Es entstand nach der Vorlesung eine Stille,
weil man über das eben Gehörte nachdachte,
und keiner zuerst einen Ausspruch thun wollte,
endlich sagte Emilie: mir scheint, der Schluß
des Stückes muß eine bittre und schneidende
Empfindung erregen, indem das Schreckliche
zu plötzlich hereinbricht.

Am wenigsten, fügte Rosalie hinzu, will
es mir einleuchten, daß gerade Theodor den
Mord vollbringen muß, denn bei aller seiner
Widrigkeit dünkt er mir doch zu gut, um so
tief zu sinken.

Nach einigen Hin- und Wieder-Reden
schien es, daß alle dem ersten Theile, wegen
seiner Gelindigkeit den Vorzug gaben, obgleich
Manfred dazwischen sehr eifrig behauptete,
man müsse beide immer zugleich betrachten,
um den ganzen Gedanken der alten Novelle zu
fassen, der wildere Scherz wie das Schreck-
liche müsse sich ja eben in der zweiten Hälfte
vereinigen; der Tod der Hauptpersonen sey
unerlaßlich, um die Geschichte ernsthaft zu
endigen, die sonst einen albernen Charakter er-
halten würde.

Lothar fügte hinzu: ob es gleich beim er-
sten Anblick scheinen möchte, daß dieser Theil,
indem er mehr an einem Ort und mit densel-
ben Personen spielt, dramatischer seyn müsse
als der erste, so ist die Schwierigkeit der Be-
arbeitung noch größer, denn neben dem ersten

Zweite Abtheilung.

Es entſtand nach der Vorleſung eine Stille,
weil man uͤber das eben Gehoͤrte nachdachte,
und keiner zuerſt einen Ausſpruch thun wollte,
endlich ſagte Emilie: mir ſcheint, der Schluß
des Stuͤckes muß eine bittre und ſchneidende
Empfindung erregen, indem das Schreckliche
zu ploͤtzlich hereinbricht.

Am wenigſten, fuͤgte Roſalie hinzu, will
es mir einleuchten, daß gerade Theodor den
Mord vollbringen muß, denn bei aller ſeiner
Widrigkeit duͤnkt er mir doch zu gut, um ſo
tief zu ſinken.

Nach einigen Hin- und Wieder-Reden
ſchien es, daß alle dem erſten Theile, wegen
ſeiner Gelindigkeit den Vorzug gaben, obgleich
Manfred dazwiſchen ſehr eifrig behauptete,
man muͤſſe beide immer zugleich betrachten,
um den ganzen Gedanken der alten Novelle zu
faſſen, der wildere Scherz wie das Schreck-
liche muͤſſe ſich ja eben in der zweiten Haͤlfte
vereinigen; der Tod der Hauptperſonen ſey
unerlaßlich, um die Geſchichte ernſthaft zu
endigen, die ſonſt einen albernen Charakter er-
halten wuͤrde.

Lothar fuͤgte hinzu: ob es gleich beim er-
ſten Anblick ſcheinen moͤchte, daß dieſer Theil,
indem er mehr an einem Ort und mit denſel-
ben Perſonen ſpielt, dramatiſcher ſeyn muͤſſe
als der erſte, ſo iſt die Schwierigkeit der Be-
arbeitung noch groͤßer, denn neben dem erſten

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[495/0505] Zweite Abtheilung. Es entſtand nach der Vorleſung eine Stille, weil man uͤber das eben Gehoͤrte nachdachte, und keiner zuerſt einen Ausſpruch thun wollte, endlich ſagte Emilie: mir ſcheint, der Schluß des Stuͤckes muß eine bittre und ſchneidende Empfindung erregen, indem das Schreckliche zu ploͤtzlich hereinbricht. Am wenigſten, fuͤgte Roſalie hinzu, will es mir einleuchten, daß gerade Theodor den Mord vollbringen muß, denn bei aller ſeiner Widrigkeit duͤnkt er mir doch zu gut, um ſo tief zu ſinken. Nach einigen Hin- und Wieder-Reden ſchien es, daß alle dem erſten Theile, wegen ſeiner Gelindigkeit den Vorzug gaben, obgleich Manfred dazwiſchen ſehr eifrig behauptete, man muͤſſe beide immer zugleich betrachten, um den ganzen Gedanken der alten Novelle zu faſſen, der wildere Scherz wie das Schreck- liche muͤſſe ſich ja eben in der zweiten Haͤlfte vereinigen; der Tod der Hauptperſonen ſey unerlaßlich, um die Geſchichte ernſthaft zu endigen, die ſonſt einen albernen Charakter er- halten wuͤrde. Lothar fuͤgte hinzu: ob es gleich beim er- ſten Anblick ſcheinen moͤchte, daß dieſer Theil, indem er mehr an einem Ort und mit denſel- ben Perſonen ſpielt, dramatiſcher ſeyn muͤſſe als der erſte, ſo iſt die Schwierigkeit der Be- arbeitung noch groͤßer, denn neben dem erſten

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/505>, abgerufen am 23.11.2024.