Ergießungen eines ehemaligen Frohsinns zu- rückkehrte. Ich bitte dich aber mich heute Abend bei der Gesellschaft zu entschuldigen, denn ich kann nicht zu ihr zurückkehren, weil diese Anstrengung ohne alle Aufmerksamkeit vor- zutragen, mir Kopfschmerz zugezogen, ich will darum Adelheid nur eine gute Nacht zurufen, und mich dann schlafen legen.
Nachdem man den schönen Abend im Freien genossen hatte, kehrte man zu einem leichten Abendmahl in den Gartensaal zurück. Lothar hatte das Gespräch wieder auf das Theater geführt, und als Manfred zur Gesellschaft zu- rück kam, war man eben bei der Frage, war- um die deutsche Schauspielkunst so sehr gesun- ken sey, und wahrscheinlich immer noch mehr sinken werde. Da vielen die Ursach unbegreif- lich schien, sagte Manfred: warum verwundert ihr euch nicht vielmehr, daß es noch so man- chen guten Schauspieler giebt, und daß die mittelmäßigen und schlechten nicht noch schlech- ter sind? Nicht weitläufig zu gedenken, daß jede Kunst in der Regel, wenn sie gleichsam rohen Acker findet, erst kräftig heranwächst; sie wird dann von Kennern unterstützt, von Vorurtheilen nicht gestört, man genießt sie mit wahrer Liebe; hat sie einen gewissen Gipfel erreicht, so muß sie, ohne alle äußere Veran- lassung, wieder herunter, denn sie wird sich in sich selbst entzweien, den Mittelpunkt ver-
III. [ 32 ]
Zweite Abtheilung.
Ergießungen eines ehemaligen Frohſinns zu- ruͤckkehrte. Ich bitte dich aber mich heute Abend bei der Geſellſchaft zu entſchuldigen, denn ich kann nicht zu ihr zuruͤckkehren, weil dieſe Anſtrengung ohne alle Aufmerkſamkeit vor- zutragen, mir Kopfſchmerz zugezogen, ich will darum Adelheid nur eine gute Nacht zurufen, und mich dann ſchlafen legen.
Nachdem man den ſchoͤnen Abend im Freien genoſſen hatte, kehrte man zu einem leichten Abendmahl in den Gartenſaal zuruͤck. Lothar hatte das Geſpraͤch wieder auf das Theater gefuͤhrt, und als Manfred zur Geſellſchaft zu- ruͤck kam, war man eben bei der Frage, war- um die deutſche Schauſpielkunſt ſo ſehr geſun- ken ſey, und wahrſcheinlich immer noch mehr ſinken werde. Da vielen die Urſach unbegreif- lich ſchien, ſagte Manfred: warum verwundert ihr euch nicht vielmehr, daß es noch ſo man- chen guten Schauſpieler giebt, und daß die mittelmaͤßigen und ſchlechten nicht noch ſchlech- ter ſind? Nicht weitlaͤufig zu gedenken, daß jede Kunſt in der Regel, wenn ſie gleichſam rohen Acker findet, erſt kraͤftig heranwaͤchſt; ſie wird dann von Kennern unterſtuͤtzt, von Vorurtheilen nicht geſtoͤrt, man genießt ſie mit wahrer Liebe; hat ſie einen gewiſſen Gipfel erreicht, ſo muß ſie, ohne alle aͤußere Veran- laſſung, wieder herunter, denn ſie wird ſich in ſich ſelbſt entzweien, den Mittelpunkt ver-
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Zweite Abtheilung.
Ergießungen eines ehemaligen Frohſinns zu-
ruͤckkehrte. Ich bitte dich aber mich heute
Abend bei der Geſellſchaft zu entſchuldigen,
denn ich kann nicht zu ihr zuruͤckkehren, weil
dieſe Anſtrengung ohne alle Aufmerkſamkeit vor-
zutragen, mir Kopfſchmerz zugezogen, ich will
darum Adelheid nur eine gute Nacht zurufen,
und mich dann ſchlafen legen.
Nachdem man den ſchoͤnen Abend im Freien
genoſſen hatte, kehrte man zu einem leichten
Abendmahl in den Gartenſaal zuruͤck. Lothar
hatte das Geſpraͤch wieder auf das Theater
gefuͤhrt, und als Manfred zur Geſellſchaft zu-
ruͤck kam, war man eben bei der Frage, war-
um die deutſche Schauſpielkunſt ſo ſehr geſun-
ken ſey, und wahrſcheinlich immer noch mehr
ſinken werde. Da vielen die Urſach unbegreif-
lich ſchien, ſagte Manfred: warum verwundert
ihr euch nicht vielmehr, daß es noch ſo man-
chen guten Schauſpieler giebt, und daß die
mittelmaͤßigen und ſchlechten nicht noch ſchlech-
ter ſind? Nicht weitlaͤufig zu gedenken, daß
jede Kunſt in der Regel, wenn ſie gleichſam
rohen Acker findet, erſt kraͤftig heranwaͤchſt;
ſie wird dann von Kennern unterſtuͤtzt, von
Vorurtheilen nicht geſtoͤrt, man genießt ſie mit
wahrer Liebe; hat ſie einen gewiſſen Gipfel
erreicht, ſo muß ſie, ohne alle aͤußere Veran-
laſſung, wieder herunter, denn ſie wird ſich
in ſich ſelbſt entzweien, den Mittelpunkt ver-
III. [ 32 ]
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/507>, abgerufen am 27.11.2024.
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