rektoren, am Publikum, an den Umständen, wenn aus unserm Theater nichts Sonderliches wird. Das schlimmste wäre wohl, wenn wir den Fran- zosen ihre ausgebildete Manier in ihrer dekla- mirenden Tragödie, oder ihre vollendete im Lustspiel nachzuahmen suchten. Denn ohne Zwei- fel haben wir ein anderes Lustspiel und Trauer- spiel als sie, und müssen es auch anders darstel- len. Das fühlte auch Schröder, und spielte eben deshalb französische Charaktere auf deut- sche Weise.
Die Engländer, fing Lothar wieder an, ha- ben sich, wie ich höre, in der Tragödie eine will- kührliche Manier gemacht, in der sie alle Syl- ben zuzählen und zuwägen. Dies paßt wenig- stens auf den Shakspeare nicht. Von der Sid- bons habe ich eine große Vorstellung, von den männlichen Tragikern nicht. Ihr Lustspiel mag trefflich seyn. In der Tragödie könnte ein neuer Garrick wieder Epoche machen, wenn er das Pa- thetische und Große von neuem mit dem Natür- lichen verbände. Garrick scheint im Lustspiel ganz außerordentlich gewesen zu seyn; trotz allen Lobpreisern kann ich es aber nicht so ganz von seiner Tragödie glauben, ich ersehe aus seinen Panegyrikern selbst, daß er oft manierirt war, seine Bearbeitungen des Shakspeare geben mir keinen großen Begriff von seinen Einsichten in
Zweite Abtheilung.
rektoren, am Publikum, an den Umſtaͤnden, wenn aus unſerm Theater nichts Sonderliches wird. Das ſchlimmſte waͤre wohl, wenn wir den Fran- zoſen ihre ausgebildete Manier in ihrer dekla- mirenden Tragoͤdie, oder ihre vollendete im Luſtſpiel nachzuahmen ſuchten. Denn ohne Zwei- fel haben wir ein anderes Luſtſpiel und Trauer- ſpiel als ſie, und muͤſſen es auch anders darſtel- len. Das fuͤhlte auch Schroͤder, und ſpielte eben deshalb franzoͤſiſche Charaktere auf deut- ſche Weiſe.
Die Englaͤnder, fing Lothar wieder an, ha- ben ſich, wie ich hoͤre, in der Tragoͤdie eine will- kuͤhrliche Manier gemacht, in der ſie alle Syl- ben zuzaͤhlen und zuwaͤgen. Dies paßt wenig- ſtens auf den Shakſpeare nicht. Von der Sid- bons habe ich eine große Vorſtellung, von den maͤnnlichen Tragikern nicht. Ihr Luſtſpiel mag trefflich ſeyn. In der Tragoͤdie koͤnnte ein neuer Garrick wieder Epoche machen, wenn er das Pa- thetiſche und Große von neuem mit dem Natuͤr- lichen verbaͤnde. Garrick ſcheint im Luſtſpiel ganz außerordentlich geweſen zu ſeyn; trotz allen Lobpreiſern kann ich es aber nicht ſo ganz von ſeiner Tragoͤdie glauben, ich erſehe aus ſeinen Panegyrikern ſelbſt, daß er oft manierirt war, ſeine Bearbeitungen des Shakſpeare geben mir keinen großen Begriff von ſeinen Einſichten in
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Zweite Abtheilung.
rektoren, am Publikum, an den Umſtaͤnden, wenn
aus unſerm Theater nichts Sonderliches wird.
Das ſchlimmſte waͤre wohl, wenn wir den Fran-
zoſen ihre ausgebildete Manier in ihrer dekla-
mirenden Tragoͤdie, oder ihre vollendete im
Luſtſpiel nachzuahmen ſuchten. Denn ohne Zwei-
fel haben wir ein anderes Luſtſpiel und Trauer-
ſpiel als ſie, und muͤſſen es auch anders darſtel-
len. Das fuͤhlte auch Schroͤder, und ſpielte
eben deshalb franzoͤſiſche Charaktere auf deut-
ſche Weiſe.
Die Englaͤnder, fing Lothar wieder an, ha-
ben ſich, wie ich hoͤre, in der Tragoͤdie eine will-
kuͤhrliche Manier gemacht, in der ſie alle Syl-
ben zuzaͤhlen und zuwaͤgen. Dies paßt wenig-
ſtens auf den Shakſpeare nicht. Von der Sid-
bons habe ich eine große Vorſtellung, von den
maͤnnlichen Tragikern nicht. Ihr Luſtſpiel mag
trefflich ſeyn. In der Tragoͤdie koͤnnte ein neuer
Garrick wieder Epoche machen, wenn er das Pa-
thetiſche und Große von neuem mit dem Natuͤr-
lichen verbaͤnde. Garrick ſcheint im Luſtſpiel
ganz außerordentlich geweſen zu ſeyn; trotz allen
Lobpreiſern kann ich es aber nicht ſo ganz von
ſeiner Tragoͤdie glauben, ich erſehe aus ſeinen
Panegyrikern ſelbſt, daß er oft manierirt war,
ſeine Bearbeitungen des Shakſpeare geben mir
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/529>, abgerufen am 23.11.2024.
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