Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
die Poesie, und ob Smollet in seinen früheren
Ausfällen auf ihn so ganz Unrecht haben mochte,
steht noch dahin, auf jeden Fall aber fehlte ihm
das os rotundum, die volle Stimme die einem
Tragiker durchaus unerlaßlich ist.

Ich machte mir von Italien, sagte Ernst --
da ich es allenthalben gehört und gelesen hatte --
die Vorstellung, daß es durchaus keine guten
Schauspieler aufzuweisen habe, und fand mich
zu meiner Freude sehr betrogen. Von ihren
berühmten Masken hab' ich kaum etwas Mittel-
mäßiges angetroffen, den Pantalon einigemal er-
träglich, doch habe ich Venedig nicht besucht.
Den Diener zweier Herren sah' ich in Bologna
und Florenz ganz schlecht spielen, jede deutsche
Truppe würde den Scherz geistreicher und leben-
diger geben. Ein Schauspiel von Gozzi habe
ich leider nirgend angetroffen, diese Fabeln sind
wohl mit der Truppe Sacchi untergegangen,
eben so wenig jene geistreichen Possen und Ueber-
treibungen, von denen ich bei früheren Reisenden
so viel gelesen habe, wenn nicht ein Don Juan,
der auf dem großen Theater zu Mayland aufge-
führt, und, wie es schien, improvisirt wurde,
dergleichen seyn sollte, der aber im Gegentheil
das abgeschmackteste und platteste Wesen war,
das mir jemals vorgekommen ist. Dagegen
habe ich in Verona, vorzüglich aber in Rom,

Zweite Abtheilung.
die Poeſie, und ob Smollet in ſeinen fruͤheren
Ausfaͤllen auf ihn ſo ganz Unrecht haben mochte,
ſteht noch dahin, auf jeden Fall aber fehlte ihm
das os rotundum, die volle Stimme die einem
Tragiker durchaus unerlaßlich iſt.

Ich machte mir von Italien, ſagte Ernſt —
da ich es allenthalben gehoͤrt und geleſen hatte —
die Vorſtellung, daß es durchaus keine guten
Schauſpieler aufzuweiſen habe, und fand mich
zu meiner Freude ſehr betrogen. Von ihren
beruͤhmten Masken hab' ich kaum etwas Mittel-
maͤßiges angetroffen, den Pantalon einigemal er-
traͤglich, doch habe ich Venedig nicht beſucht.
Den Diener zweier Herren ſah' ich in Bologna
und Florenz ganz ſchlecht ſpielen, jede deutſche
Truppe wuͤrde den Scherz geiſtreicher und leben-
diger geben. Ein Schauſpiel von Gozzi habe
ich leider nirgend angetroffen, dieſe Fabeln ſind
wohl mit der Truppe Sacchi untergegangen,
eben ſo wenig jene geiſtreichen Poſſen und Ueber-
treibungen, von denen ich bei fruͤheren Reiſenden
ſo viel geleſen habe, wenn nicht ein Don Juan,
der auf dem großen Theater zu Mayland aufge-
fuͤhrt, und, wie es ſchien, improviſirt wurde,
dergleichen ſeyn ſollte, der aber im Gegentheil
das abgeſchmackteſte und platteſte Weſen war,
das mir jemals vorgekommen iſt. Dagegen
habe ich in Verona, vorzuͤglich aber in Rom,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0530" n="520"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
die Poe&#x017F;ie, und ob Smollet in &#x017F;einen fru&#x0364;heren<lb/>
Ausfa&#x0364;llen auf ihn &#x017F;o ganz Unrecht haben mochte,<lb/>
&#x017F;teht noch dahin, auf jeden Fall aber fehlte ihm<lb/>
das <hi rendition="#aq">os rotundum,</hi> die volle Stimme die einem<lb/>
Tragiker durchaus unerlaßlich i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Ich machte mir von Italien, &#x017F;agte Ern&#x017F;t &#x2014;<lb/>
da ich es allenthalben geho&#x0364;rt und gele&#x017F;en hatte &#x2014;<lb/>
die Vor&#x017F;tellung, daß es durchaus keine guten<lb/>
Schau&#x017F;pieler aufzuwei&#x017F;en habe, und fand mich<lb/>
zu meiner Freude &#x017F;ehr betrogen. Von ihren<lb/>
beru&#x0364;hmten Masken hab' ich kaum etwas Mittel-<lb/>
ma&#x0364;ßiges angetroffen, den Pantalon einigemal er-<lb/>
tra&#x0364;glich, doch habe ich Venedig nicht be&#x017F;ucht.<lb/>
Den Diener zweier Herren &#x017F;ah' ich in Bologna<lb/>
und Florenz ganz &#x017F;chlecht &#x017F;pielen, jede deut&#x017F;che<lb/>
Truppe wu&#x0364;rde den Scherz gei&#x017F;treicher und leben-<lb/>
diger geben. Ein Schau&#x017F;piel von Gozzi habe<lb/>
ich leider nirgend angetroffen, die&#x017F;e Fabeln &#x017F;ind<lb/>
wohl mit der Truppe Sacchi untergegangen,<lb/>
eben &#x017F;o wenig jene gei&#x017F;treichen Po&#x017F;&#x017F;en und Ueber-<lb/>
treibungen, von denen ich bei fru&#x0364;heren Rei&#x017F;enden<lb/>
&#x017F;o viel gele&#x017F;en habe, wenn nicht ein Don Juan,<lb/>
der auf dem großen Theater zu Mayland aufge-<lb/>
fu&#x0364;hrt, und, wie es &#x017F;chien, improvi&#x017F;irt wurde,<lb/>
dergleichen &#x017F;eyn &#x017F;ollte, der aber im Gegentheil<lb/>
das abge&#x017F;chmackte&#x017F;te und platte&#x017F;te We&#x017F;en war,<lb/>
das mir jemals vorgekommen i&#x017F;t. Dagegen<lb/>
habe ich in Verona, vorzu&#x0364;glich aber in Rom,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[520/0530] Zweite Abtheilung. die Poeſie, und ob Smollet in ſeinen fruͤheren Ausfaͤllen auf ihn ſo ganz Unrecht haben mochte, ſteht noch dahin, auf jeden Fall aber fehlte ihm das os rotundum, die volle Stimme die einem Tragiker durchaus unerlaßlich iſt. Ich machte mir von Italien, ſagte Ernſt — da ich es allenthalben gehoͤrt und geleſen hatte — die Vorſtellung, daß es durchaus keine guten Schauſpieler aufzuweiſen habe, und fand mich zu meiner Freude ſehr betrogen. Von ihren beruͤhmten Masken hab' ich kaum etwas Mittel- maͤßiges angetroffen, den Pantalon einigemal er- traͤglich, doch habe ich Venedig nicht beſucht. Den Diener zweier Herren ſah' ich in Bologna und Florenz ganz ſchlecht ſpielen, jede deutſche Truppe wuͤrde den Scherz geiſtreicher und leben- diger geben. Ein Schauſpiel von Gozzi habe ich leider nirgend angetroffen, dieſe Fabeln ſind wohl mit der Truppe Sacchi untergegangen, eben ſo wenig jene geiſtreichen Poſſen und Ueber- treibungen, von denen ich bei fruͤheren Reiſenden ſo viel geleſen habe, wenn nicht ein Don Juan, der auf dem großen Theater zu Mayland aufge- fuͤhrt, und, wie es ſchien, improviſirt wurde, dergleichen ſeyn ſollte, der aber im Gegentheil das abgeſchmackteſte und platteſte Weſen war, das mir jemals vorgekommen iſt. Dagegen habe ich in Verona, vorzuͤglich aber in Rom,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/530
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/530>, abgerufen am 27.11.2024.