unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬ migkeit entstehn. Doch sage ich dieses gar nicht, um Dich zu tadeln, sondern es ge¬ schieht nur, weil ich an manchen sonst gu¬ ten Menschen dergleichen bemerkt habe, wenn sie an Gott und die Unsterblichkeit mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬ her Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirschung und nicht mit erhabner Muthigkeit, so sind sie am Ende in einen Zustand der Weichlichkeit verfallen, in dem sie die tröstende wahre Andacht ver¬ lassen hat, und sie sich und ihrem Kleinsinn überlassen blieben. Doch wie ich sage, es gilt nicht Dich, denn Du bist zu gut, zu herz¬ lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬ test, und weil Du große Gedanken hegst, und mit warmer brünstiger Seele die Bi¬ bel liesest und die heiligen Geschichten, so wirst Du auch gewißlich ein guter Mahler
unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬ migkeit entſtehn. Doch ſage ich dieſes gar nicht, um Dich zu tadeln, ſondern es ge¬ ſchieht nur, weil ich an manchen ſonſt gu¬ ten Menſchen dergleichen bemerkt habe, wenn ſie an Gott und die Unſterblichkeit mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬ her Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirſchung und nicht mit erhabner Muthigkeit, ſo ſind ſie am Ende in einen Zuſtand der Weichlichkeit verfallen, in dem ſie die tröſtende wahre Andacht ver¬ laſſen hat, und ſie ſich und ihrem Kleinſinn überlaſſen blieben. Doch wie ich ſage, es gilt nicht Dich, denn Du biſt zu gut, zu herz¬ lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬ teſt, und weil Du große Gedanken hegſt, und mit warmer brünſtiger Seele die Bi¬ bel lieſeſt und die heiligen Geſchichten, ſo wirſt Du auch gewißlich ein guter Mahler
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unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬
migkeit entſtehn. Doch ſage ich dieſes gar
nicht, um Dich zu tadeln, ſondern es ge¬
ſchieht nur, weil ich an manchen ſonſt gu¬
ten Menſchen dergleichen bemerkt habe,
wenn ſie an Gott und die Unſterblichkeit
mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬
her Erhebung der Seele gedacht haben, mit
weichherziger Zerknirſchung und nicht mit
erhabner Muthigkeit, ſo ſind ſie am Ende
in einen Zuſtand der Weichlichkeit verfallen,
in dem ſie die tröſtende wahre Andacht ver¬
laſſen hat, und ſie ſich und ihrem Kleinſinn
überlaſſen blieben. Doch wie ich ſage, es
gilt nicht Dich, denn Du biſt zu gut, zu herz¬
lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬
teſt, und weil Du große Gedanken hegſt,
und mit warmer brünſtiger Seele die Bi¬
bel lieſeſt und die heiligen Geſchichten, ſo
wirſt Du auch gewißlich ein guter Mahler
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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/118>, abgerufen am 24.11.2024.
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