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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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hinein, und traf seinen Freund in Thränen.
Er ward bei diesem Anblicke erschüttert, und
redete ihn so an: Liebster, warum willst
Du mich so sehr bekümmern, daß Du mir
kein Wort von Deinem Leiden anvertrauest?
Ich sehe es täglich, wie Dein Leben sich
aufzehrt, und unwissend muß ich mit Dir
leiden, ohne daß ich rathen und trösten
könnte. Warum nennst Du mich Deinen
Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich
nicht Deines Vertrauen würdig achtest. Jezt
gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die
Probe stelle, und was fürchtest Du, Dich
mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich
bist, wo findest Du sicherer Trost, als im
Busen eines Freundes? Bist Du Dich eines
Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger
als die Liebe?

Ferdinand sah ihn eine Weile an, dann
antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬

hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen.
Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und
redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt
Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir
kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt?
Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich
aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir
leiden, ohne daß ich rathen und tröſten
könnte. Warum nennſt Du mich Deinen
Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich
nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt
gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die
Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich
mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich
biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im
Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines
Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger
als die Liebe?

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antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬

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[286/0297] hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen. Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt? Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir leiden, ohne daß ich rathen und tröſten könnte. Warum nennſt Du mich Deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger als die Liebe? Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/297>, abgerufen am 22.11.2024.