hinein, und traf seinen Freund in Thränen. Er ward bei diesem Anblicke erschüttert, und redete ihn so an: Liebster, warum willst Du mich so sehr bekümmern, daß Du mir kein Wort von Deinem Leiden anvertrauest? Ich sehe es täglich, wie Dein Leben sich aufzehrt, und unwissend muß ich mit Dir leiden, ohne daß ich rathen und trösten könnte. Warum nennst Du mich Deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich nicht Deines Vertrauen würdig achtest. Jezt gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die Probe stelle, und was fürchtest Du, Dich mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich bist, wo findest Du sicherer Trost, als im Busen eines Freundes? Bist Du Dich eines Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger als die Liebe?
Ferdinand sah ihn eine Weile an, dann antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬
hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen. Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt? Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir leiden, ohne daß ich rathen und tröſten könnte. Warum nennſt Du mich Deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger als die Liebe?
Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="286"/>
hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen.<lb/>
Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und<lb/>
redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt<lb/>
Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir<lb/>
kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt?<lb/>
Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich<lb/>
aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir<lb/>
leiden, ohne daß ich rathen und tröſten<lb/>
könnte. Warum nennſt Du mich Deinen<lb/>
Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich<lb/>
nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt<lb/>
gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die<lb/>
Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich<lb/>
mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich<lb/>
biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im<lb/>
Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines<lb/>
Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger<lb/>
als die Liebe?</p><lb/><p>Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann<lb/>
antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[286/0297]
hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen.
Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und
redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt
Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir
kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt?
Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich
aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir
leiden, ohne daß ich rathen und tröſten
könnte. Warum nennſt Du mich Deinen
Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich
nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt
gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die
Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich
mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich
biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im
Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines
Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger
als die Liebe?
Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann
antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/297>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.