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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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gestorben. -- Sieh her, mein Sohn, er
hat sein Futter nicht einmal verzehrt, so
lieb ist es ihm gewesen, mich zu verlassen.
Ich habe ihn so sorgfältig gepflegt, und
doch ist ihm die Freiheit lieber.

Ihr habt die Menschen gewißlich recht
von Herzen geliebt! rief Sternbald aus.

Nicht immer, sagte jener, die Thiere
stehn uns näher, denn sie sind wie kindische
Kinder, deren Liebe immer unterhalten seyn
will, weil sie ungewiß und unbegreiflich ist,
mit dem Menschen rechnen wir gern, und
wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermis¬
sen wir schon die Liebe; gegen Thiere sind
wir duldend, weil sie unsre Trefflichkeiten
nicht bemerken können, und wir ihnen da¬
durch immer wieder gleich stehn; indem wir
aber ihre dumpfe Existenz fühlen und ein¬
sehn, entsteht eine magische Freundschaft,
aus Mitleiden, Zuneigung, ja ich möchte

sagen

geſtorben. — Sieh her, mein Sohn, er
hat ſein Futter nicht einmal verzehrt, ſo
lieb iſt es ihm geweſen, mich zu verlaſſen.
Ich habe ihn ſo ſorgfältig gepflegt, und
doch iſt ihm die Freiheit lieber.

Ihr habt die Menſchen gewißlich recht
von Herzen geliebt! rief Sternbald aus.

Nicht immer, ſagte jener, die Thiere
ſtehn uns näher, denn ſie ſind wie kindiſche
Kinder, deren Liebe immer unterhalten ſeyn
will, weil ſie ungewiß und unbegreiflich iſt,
mit dem Menſchen rechnen wir gern, und
wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermiſ¬
ſen wir ſchon die Liebe; gegen Thiere ſind
wir duldend, weil ſie unſre Trefflichkeiten
nicht bemerken können, und wir ihnen da¬
durch immer wieder gleich ſtehn; indem wir
aber ihre dumpfe Exiſtenz fühlen und ein¬
ſehn, entſteht eine magiſche Freundſchaft,
aus Mitleiden, Zuneigung, ja ich möchte

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[128/0136] geſtorben. — Sieh her, mein Sohn, er hat ſein Futter nicht einmal verzehrt, ſo lieb iſt es ihm geweſen, mich zu verlaſſen. Ich habe ihn ſo ſorgfältig gepflegt, und doch iſt ihm die Freiheit lieber. Ihr habt die Menſchen gewißlich recht von Herzen geliebt! rief Sternbald aus. Nicht immer, ſagte jener, die Thiere ſtehn uns näher, denn ſie ſind wie kindiſche Kinder, deren Liebe immer unterhalten ſeyn will, weil ſie ungewiß und unbegreiflich iſt, mit dem Menſchen rechnen wir gern, und wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermiſ¬ ſen wir ſchon die Liebe; gegen Thiere ſind wir duldend, weil ſie unſre Trefflichkeiten nicht bemerken können, und wir ihnen da¬ durch immer wieder gleich ſtehn; indem wir aber ihre dumpfe Exiſtenz fühlen und ein¬ ſehn, entſteht eine magiſche Freundſchaft, aus Mitleiden, Zuneigung, ja ich möchte ſagen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/136>, abgerufen am 23.11.2024.