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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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bergen ließen. Wer ist sie? sagte ich zu mir,
warum hat sie Dich betrachtet? Ich grüßte,
sie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und
rettete mich in die Dämmerung des Waldes
hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem
Tode entgegen ginge, als mir die Lichter aus
dem Schlosse entgegenglänzten. Sie wartet
auf Dich, sagte ich zu mir, freundlich hat sie
das Abendessen bereitet, sie sorgt, daß Du
müde bist, sie trocknet Dir die Stirn. Nein,
ich liebe sie, rief ich aus, wie sie mich liebt.

In der Nacht tönte der Lauf der Berg¬
quellen in mein Ohr, die Winde rauschten
durch die Bäume, der Mond stieg herauf
und ging wieder unter: alles, die ganze
Natur in freier, willkührlicher Bewegung,
nur ich war gefesselt. Die Sonne war noch
nicht aufgegangen, als ich wieder durch das
Dorf ritt, es traf sich, daß das Mädchen
wieder am Brunnen stand: ich war meiner

O 2

bergen ließen. Wer iſt ſie? ſagte ich zu mir,
warum hat ſie Dich betrachtet? Ich grüßte,
ſie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und
rettete mich in die Dämmerung des Waldes
hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem
Tode entgegen ginge, als mir die Lichter aus
dem Schloſſe entgegenglänzten. Sie wartet
auf Dich, ſagte ich zu mir, freundlich hat ſie
das Abendeſſen bereitet, ſie ſorgt, daß Du
müde biſt, ſie trocknet Dir die Stirn. Nein,
ich liebe ſie, rief ich aus, wie ſie mich liebt.

In der Nacht tönte der Lauf der Berg¬
quellen in mein Ohr, die Winde rauſchten
durch die Bäume, der Mond ſtieg herauf
und ging wieder unter: alles, die ganze
Natur in freier, willkührlicher Bewegung,
nur ich war gefeſſelt. Die Sonne war noch
nicht aufgegangen, als ich wieder durch das
Dorf ritt, es traf ſich, daß das Mädchen
wieder am Brunnen ſtand: ich war meiner

O 2
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[211/0219] bergen ließen. Wer iſt ſie? ſagte ich zu mir, warum hat ſie Dich betrachtet? Ich grüßte, ſie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und rettete mich in die Dämmerung des Waldes hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem Tode entgegen ginge, als mir die Lichter aus dem Schloſſe entgegenglänzten. Sie wartet auf Dich, ſagte ich zu mir, freundlich hat ſie das Abendeſſen bereitet, ſie ſorgt, daß Du müde biſt, ſie trocknet Dir die Stirn. Nein, ich liebe ſie, rief ich aus, wie ſie mich liebt. In der Nacht tönte der Lauf der Berg¬ quellen in mein Ohr, die Winde rauſchten durch die Bäume, der Mond ſtieg herauf und ging wieder unter: alles, die ganze Natur in freier, willkührlicher Bewegung, nur ich war gefeſſelt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich wieder durch das Dorf ritt, es traf ſich, daß das Mädchen wieder am Brunnen ſtand: ich war meiner O 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/219>, abgerufen am 25.11.2024.