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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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sten Gegenwart dicht vor uns. Es ist mehr,
als wenn Venus uns mit ihrem Knaben sel¬
ber besuchte, der Genuß an diesen Bildern
ist die hohe Schule der Liebe, die Einwei¬
hung in die höchsten Mysterien, wer diese
Gemählde nicht verehrt, versteht und sich
an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben,
der muß nur gleich sein Leben an irgend
eine unnütze, mühselige Beschäftigung weg¬
werfen, denn ihm ist es verborgen, was er
damit anfangen kann.

Eine Zeichnung mag noch so edel seyn,
die Farbe bringt erst die Lebenswärme, und
ist mehr und inniger, als der körperliche
Umfang der Bildsäule.

Ich hätte mich glücklich geschätzt, wenn
ich diesen Allegri noch im Leben angetroffen
hätte, aber er ist gestorben. Er soll ein
dürftiges, unbekanntes Leben geführt haben.
Seine Phantasie, die immer in Liebe ent¬

ſten Gegenwart dicht vor uns. Es iſt mehr,
als wenn Venus uns mit ihrem Knaben ſel¬
ber beſuchte, der Genuß an dieſen Bildern
iſt die hohe Schule der Liebe, die Einwei¬
hung in die höchſten Myſterien, wer dieſe
Gemählde nicht verehrt, verſteht und ſich
an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben,
der muß nur gleich ſein Leben an irgend
eine unnütze, mühſelige Beſchäftigung weg¬
werfen, denn ihm iſt es verborgen, was er
damit anfangen kann.

Eine Zeichnung mag noch ſo edel ſeyn,
die Farbe bringt erſt die Lebenswärme, und
iſt mehr und inniger, als der körperliche
Umfang der Bildſäule.

Ich hätte mich glücklich geſchätzt, wenn
ich dieſen Allegri noch im Leben angetroffen
hätte, aber er iſt geſtorben. Er ſoll ein
dürftiges, unbekanntes Leben geführt haben.
Seine Phantaſie, die immer in Liebe ent¬

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[349/0357] ſten Gegenwart dicht vor uns. Es iſt mehr, als wenn Venus uns mit ihrem Knaben ſel¬ ber beſuchte, der Genuß an dieſen Bildern iſt die hohe Schule der Liebe, die Einwei¬ hung in die höchſten Myſterien, wer dieſe Gemählde nicht verehrt, verſteht und ſich an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben, der muß nur gleich ſein Leben an irgend eine unnütze, mühſelige Beſchäftigung weg¬ werfen, denn ihm iſt es verborgen, was er damit anfangen kann. Eine Zeichnung mag noch ſo edel ſeyn, die Farbe bringt erſt die Lebenswärme, und iſt mehr und inniger, als der körperliche Umfang der Bildſäule. Ich hätte mich glücklich geſchätzt, wenn ich dieſen Allegri noch im Leben angetroffen hätte, aber er iſt geſtorben. Er ſoll ein dürftiges, unbekanntes Leben geführt haben. Seine Phantaſie, die immer in Liebe ent¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/357>, abgerufen am 24.11.2024.