Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Schulden kommen zu lassen, um nicht
durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬
standes seinen Zauber der Composition wie¬
der zu zerstören. Den Gegenstand gut zu
wählen ist aber nicht genug, auch den Au¬
genblick seiner Handlung muß er fleißig über¬
denken, damit er den größten, interessante¬
sten heraushebe, und nicht am Ende mahle,
was sich nicht darstellen läßt. Dazu muß
er die Menschen kennen, er muß sein Ge¬
müth und fremde Gesinnungen beobachtet
haben, um den Eindruck hervorzubringen,
dann wird er mit gereinigtem Geschmacke
das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬
schen und hinreißen, rühren aber nicht er¬
staunen wollen. Nach meinem wohlüber¬
dachten Urtheil hat noch keiner unsrer Mah¬
ler alle diese Forderungen erfüllt, und wie
könnte es irgend einer, da sich noch keiner der
erst genannten Studien beflissen hat? Diese

zu Schulden kommen zu laſſen, um nicht
durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬
ſtandes ſeinen Zauber der Compoſition wie¬
der zu zerſtören. Den Gegenſtand gut zu
wählen iſt aber nicht genug, auch den Au¬
genblick ſeiner Handlung muß er fleißig über¬
denken, damit er den größten, intereſſante¬
ſten heraushebe, und nicht am Ende mahle,
was ſich nicht darſtellen läßt. Dazu muß
er die Menſchen kennen, er muß ſein Ge¬
müth und fremde Geſinnungen beobachtet
haben, um den Eindruck hervorzubringen,
dann wird er mit gereinigtem Geſchmacke
das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬
ſchen und hinreißen, rühren aber nicht er¬
ſtaunen wollen. Nach meinem wohlüber¬
dachten Urtheil hat noch keiner unſrer Mah¬
ler alle dieſe Forderungen erfüllt, und wie
könnte es irgend einer, da ſich noch keiner der
erſt genannten Studien befliſſen hat? Dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="395"/>
zu Schulden kommen zu la&#x017F;&#x017F;en, um nicht<lb/>
durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬<lb/>
&#x017F;tandes &#x017F;einen Zauber der Compo&#x017F;ition wie¬<lb/>
der zu zer&#x017F;tören. Den Gegen&#x017F;tand gut zu<lb/>
wählen i&#x017F;t aber nicht genug, auch den Au¬<lb/>
genblick &#x017F;einer Handlung muß er fleißig über¬<lb/>
denken, damit er den größten, intere&#x017F;&#x017F;ante¬<lb/>
&#x017F;ten heraushebe, und nicht am Ende mahle,<lb/>
was &#x017F;ich nicht dar&#x017F;tellen läßt. Dazu muß<lb/>
er die Men&#x017F;chen kennen, er muß &#x017F;ein Ge¬<lb/>
müth und fremde Ge&#x017F;innungen beobachtet<lb/>
haben, um den Eindruck hervorzubringen,<lb/>
dann wird er mit gereinigtem Ge&#x017F;chmacke<lb/>
das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬<lb/>
&#x017F;chen und hinreißen, rühren aber nicht er¬<lb/>
&#x017F;taunen wollen. Nach meinem wohlüber¬<lb/>
dachten Urtheil hat noch keiner un&#x017F;rer Mah¬<lb/>
ler alle die&#x017F;e Forderungen erfüllt, und wie<lb/>
könnte es irgend einer, da &#x017F;ich noch keiner der<lb/>
er&#x017F;t genannten Studien befli&#x017F;&#x017F;en hat? Die&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0403] zu Schulden kommen zu laſſen, um nicht durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬ ſtandes ſeinen Zauber der Compoſition wie¬ der zu zerſtören. Den Gegenſtand gut zu wählen iſt aber nicht genug, auch den Au¬ genblick ſeiner Handlung muß er fleißig über¬ denken, damit er den größten, intereſſante¬ ſten heraushebe, und nicht am Ende mahle, was ſich nicht darſtellen läßt. Dazu muß er die Menſchen kennen, er muß ſein Ge¬ müth und fremde Geſinnungen beobachtet haben, um den Eindruck hervorzubringen, dann wird er mit gereinigtem Geſchmacke das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬ ſchen und hinreißen, rühren aber nicht er¬ ſtaunen wollen. Nach meinem wohlüber¬ dachten Urtheil hat noch keiner unſrer Mah¬ ler alle dieſe Forderungen erfüllt, und wie könnte es irgend einer, da ſich noch keiner der erſt genannten Studien befliſſen hat? Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/403
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/403>, abgerufen am 21.11.2024.