Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Leuten in einem ziemlich abgetragenen Ueberrock Cour zu machen.

Hier geht die Seite und das Buch zu Ende, sagte Heinrich. Alle Welt sieht ein, daß unsre Fracks eine dumme und geschmacklose Kleidung sind, Alle schelten diese Uniform, aber Keiner macht, so wie ich, Ernst damit, den Plunder ganz abzuschaffen. Ich erfahre nun nicht einmal aus den Zeitungen, ob andre Denkende meinem kühnen Beispiele und Vorgänge folgen werden.

Er schlug um und las die vorige Seite: Man kann auch ohne Servietten leben. Wenn ich bedenke, wie unsere Lebensweise immer mehr und mehr in Surrogat, Stellvertretung und Lückenbüßerei übergegangen ist, so bekomme ich einen rechten Haß auf unser geiziges und knickerndes Jahrhundert und fasse, da ich es ja haben kann, den Entschluß, in der Weise unsrer viel freigebigern Altvordern zu leben. Diese elenden Servietten sind ja, was selbst die heutigen Engländer noch wissen und verachten, offenbar nur erfunden, um das Tischtuch zu schonen. Ist es also Großmuth, das Tischtuch nicht zu achten, so gehe ich darin noch weiter, das Tafeltuch zusammt den Servietten für überflüssig zu erklären. Beides wird verkauft, um vom saubern Tische selbst zu essen, nach Weise der Patriarchen, nach Art der -- nun? welcher Völker? Gleichviel! Essen doch viele Menschen selbst ohne Tisch. Und, wie gesagt, ich treibe dergleichen nicht aus cynischer Spar-

Leuten in einem ziemlich abgetragenen Ueberrock Cour zu machen.

Hier geht die Seite und das Buch zu Ende, sagte Heinrich. Alle Welt sieht ein, daß unsre Fracks eine dumme und geschmacklose Kleidung sind, Alle schelten diese Uniform, aber Keiner macht, so wie ich, Ernst damit, den Plunder ganz abzuschaffen. Ich erfahre nun nicht einmal aus den Zeitungen, ob andre Denkende meinem kühnen Beispiele und Vorgänge folgen werden.

Er schlug um und las die vorige Seite: Man kann auch ohne Servietten leben. Wenn ich bedenke, wie unsere Lebensweise immer mehr und mehr in Surrogat, Stellvertretung und Lückenbüßerei übergegangen ist, so bekomme ich einen rechten Haß auf unser geiziges und knickerndes Jahrhundert und fasse, da ich es ja haben kann, den Entschluß, in der Weise unsrer viel freigebigern Altvordern zu leben. Diese elenden Servietten sind ja, was selbst die heutigen Engländer noch wissen und verachten, offenbar nur erfunden, um das Tischtuch zu schonen. Ist es also Großmuth, das Tischtuch nicht zu achten, so gehe ich darin noch weiter, das Tafeltuch zusammt den Servietten für überflüssig zu erklären. Beides wird verkauft, um vom saubern Tische selbst zu essen, nach Weise der Patriarchen, nach Art der — nun? welcher Völker? Gleichviel! Essen doch viele Menschen selbst ohne Tisch. Und, wie gesagt, ich treibe dergleichen nicht aus cynischer Spar-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011"/>
Leuten in einem ziemlich             abgetragenen Ueberrock Cour zu machen.</p><lb/>
        <p>Hier geht die Seite und das Buch zu Ende, sagte Heinrich. Alle Welt sieht ein, daß unsre             Fracks eine dumme und geschmacklose Kleidung sind, Alle schelten diese Uniform, aber             Keiner macht, so wie ich, Ernst damit, den Plunder ganz abzuschaffen. Ich erfahre nun             nicht einmal aus den Zeitungen, ob andre Denkende meinem kühnen Beispiele und Vorgänge             folgen werden.</p><lb/>
        <p>Er schlug um und las die vorige Seite: Man kann auch ohne Servietten leben. Wenn ich             bedenke, wie unsere Lebensweise immer mehr und mehr in Surrogat, Stellvertretung und             Lückenbüßerei übergegangen ist, so bekomme ich einen rechten Haß auf unser geiziges und             knickerndes Jahrhundert und fasse, da ich es ja haben kann, den Entschluß, in der Weise             unsrer viel freigebigern Altvordern zu leben. Diese elenden Servietten sind ja, was             selbst die heutigen Engländer noch wissen und verachten, offenbar nur erfunden, um das             Tischtuch zu schonen. Ist es also Großmuth, das Tischtuch nicht zu achten, so gehe ich             darin noch weiter, das Tafeltuch zusammt den Servietten für überflüssig zu erklären.             Beides wird verkauft, um vom saubern Tische selbst zu essen, nach Weise der Patriarchen,             nach Art der &#x2014; nun? welcher Völker? Gleichviel! Essen doch viele Menschen selbst ohne             Tisch. Und, wie gesagt, ich treibe dergleichen nicht aus cynischer Spar-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Leuten in einem ziemlich abgetragenen Ueberrock Cour zu machen. Hier geht die Seite und das Buch zu Ende, sagte Heinrich. Alle Welt sieht ein, daß unsre Fracks eine dumme und geschmacklose Kleidung sind, Alle schelten diese Uniform, aber Keiner macht, so wie ich, Ernst damit, den Plunder ganz abzuschaffen. Ich erfahre nun nicht einmal aus den Zeitungen, ob andre Denkende meinem kühnen Beispiele und Vorgänge folgen werden. Er schlug um und las die vorige Seite: Man kann auch ohne Servietten leben. Wenn ich bedenke, wie unsere Lebensweise immer mehr und mehr in Surrogat, Stellvertretung und Lückenbüßerei übergegangen ist, so bekomme ich einen rechten Haß auf unser geiziges und knickerndes Jahrhundert und fasse, da ich es ja haben kann, den Entschluß, in der Weise unsrer viel freigebigern Altvordern zu leben. Diese elenden Servietten sind ja, was selbst die heutigen Engländer noch wissen und verachten, offenbar nur erfunden, um das Tischtuch zu schonen. Ist es also Großmuth, das Tischtuch nicht zu achten, so gehe ich darin noch weiter, das Tafeltuch zusammt den Servietten für überflüssig zu erklären. Beides wird verkauft, um vom saubern Tische selbst zu essen, nach Weise der Patriarchen, nach Art der — nun? welcher Völker? Gleichviel! Essen doch viele Menschen selbst ohne Tisch. Und, wie gesagt, ich treibe dergleichen nicht aus cynischer Spar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/11
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/11>, abgerufen am 23.11.2024.